(LSG LSA) Schussverletzung: keine Opferentschädigung für Angehörigen des kriminellen Milieus
Wer als Angehöriger des kriminellen Milieus bei einer Schlägerei angeschossen wird, hat keinen Anspruch auf staatliche Opferentschädigung. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt in Halle entschieden.
Der seinerzeit 33 Jahre alte Kläger suchte im Jahr 2012 in Berlin einen Gebrauchtwagenhändler auf, zu dem er Geschäftsbeziehungen unterhielt. Dort kam es zu einer Auseinandersetzung. Der Streit eskalierte und mündete in eine Schlägerei zwischen zwei Gruppen von jeweils vier bis fünf Personen. Zunächst kamen u.a. ein Baseballschläger und eine Eisenstange zum Einsatz, am Ende fielen Schüsse aus einer Pistole. Mehrere Personen wurden verletzt. Der Kläger erlitt eine Schusswunde am Oberschenkel.
Im Jahr 2017 beantragte er eine Beschädigtenversorgung nach dem damals geltenden Opferentschädigungsgesetz (OEG), weil er aufgrund der Schussverletzung unter verschiedenen körperlichen und psychischen Beschwerden leide. Damit blieb er aber sowohl bei der zuständigen Behörde als auch in erster Instanz vor dem Sozialgericht ohne Erfolg. Seine dagegen gerichtete Berufung hat das LSG mit einem jetzt veröffentlichten Urteil zurückgewiesen.
Der Kläger sei zwar Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden, stellte das Gericht fest. Die Gewährung einer Entschädigung wäre aber unbillig. Eine solche Unbilligkeit sei regelmäßig unter anderem dann anzunehmen, wenn sich das Opfer des Angriffs durch eine im Vorfeld der Tat liegende rechtsfeindliche Betätigung selbst außerhalb der staatlichen Gemeinschaft gestellt habe. Denn wer sich als Zuhälter, Rauschgifthändler oder sonst in krimineller Weise betätige und Opfer der in diesen Milieus herrschenden Rivalitäten werde, solle keinen Anspruch auf eine Versorgung aus öffentlichen Mitteln haben.
Zur Überzeugung des LSG gehörte der Kläger einem solchen kriminellen Milieu an und der Angriff im Jahr 2012 stand in Zusammenhang mit seinen „rechtsfeindlichen Aktivitäten“. Insoweit stützte sich das Gericht auf verschiedene Umstände. Unter anderem seien der Kläger und andere an der Auseinandersetzung beteiligte Personen bereits polizeibekannt gewesen. Bei der Aufklärung des Angriffs habe der Kläger zudem nicht mitgewirkt. Stattdessen habe er – wie eine Telefonüberwachung ergeben habe – versucht, die Angelegenheit auf eigene Faust zu regeln. Dies sei ebenso milieutypisch wie die Tat selbst. Bei seiner polizeilichen Vernehmung habe er außerdem erklärt, er könne sich nicht vorstellen, dass ein Auftragskiller auf ihn angesetzt gewesen sei. Bei diesen Ausführungen habe er ein „szenetypisches Fachwissen“ an den Tag gelegt.
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 8. Mai 2025, L 4 VE 4/24, rechtskräftig
Hintergrund:
Opfer von Gewalttaten haben unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf staatliche Entschädigungsleistungen. Das ist seit dem 1. Januar 2024 im neu geschaffenen Vierzehnten Buch des Sozialgesetzbuchs (Soziale Entschädigung, SGB XIV) geregelt. Zuvor fanden sich entsprechende Regelungen im OEG, das im vorliegenden Fall noch zur Anwendung gekommen ist.
§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG sieht vor, dass jemand, der im Geltungsbereich des Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erhält. Das kann neben Behandlungsleistungen z.B. ab einem bestimmten Ausmaß der Schädigung auch eine sog. Beschädigtenrente sein.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG sind Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.
Das Urteil ist im Volltext kostenfrei abrufbar unter www.landesrecht.sachsen-anhalt.de und www.sozialgerichtsbarkeit.de.
Impressum:
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Pressestelle
Thüringer Straße 16
06112 Halle (Saale)
Tel: 0345 220-2122
Fax: 0345 220-2103 und -2104
Mail: presse.lsg@justiz.sachsen-anhalt.de
Web: www.lsg.sachsen-anhalt.de
