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Magdeburg, den 22.02.2002

Redebeitrag von Innenminister Dr. Manfred Püchel zum Thema "Stand des NPD-Verbotsverfahrens"

Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 027/02 Magdeburg, den 22. Februar 2002 Es gilt das gesprochene Wort! Redebeitrag von Innenminister Dr. Manfred Püchel zum Thema "Stand des NPD-Verbotsverfahrens" TOP 25 der Landtagssitzung am 21./22.2.2002 Wie die meisten wissen, stand ich einem NPD-Verbotsantrag anfangs skeptisch gegenüber. Aus mehreren Gründen: Allein auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand. Niemand kann voraus sagen, wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird. Meine Befürchtung war unter anderem, dass die Diskussion um das Verbot über einen längeren Zeitraum der NPD bundesweit ein Podium bieten könnte. Außerdem ändert ein Verbot natürlich nur wenig an der Einstellung in den Köpfen der Rechtsextremisten. Ich sah die Gefahr einer bloßen Verdrängung von Personen in andere Parteien und Organisationen. Außerdem besteht natürlich die Gefahr, dass bei einer Ablehnung des Antrags die NPD dies als eine Art Persilschein vor sich her tragen könnte. Geändert habe ich meine Meinung, als ich mich mit den Fakten über die NPD auseinandergesetzt hatte, die in der vom BMI zusammengestellten Quellensammlung der Verfassungsschutzbehörden enthalten sind. Hier waren natürlich auch Erkenntnisse aus Sachsen-Anhalt eingeflossen. Insbesondere über die Verquickung von NPD, Kameradschaften und Skinheads. Ich bin zu der überzeugung gekommen, dass es naiv ist, zu glauben, diese Personen, die die Menschenwürde so mit Füßen treten, noch mit Argumenten erreichen zu können. Anrede, es ist Aufgabe wehrhafter Demokraten zu verhindern, dass Verfassungsfeinde die Verfassung zu ihren Gunsten missbrauchen und unter dem Banner des Parteienprivilegs sogar noch vom Staat Wahlkampfkostenerstattung bekommen oder Demonstrationen anmelden und durchführen können. Denn wofür steht diese Partei denn wirklich? Sie behauptet unter anderem eine jüdische Selbstverursachung des Holocaust oder wertet die Befreiung vom Nationalsozialismus als Versklavung der Deutschen. Ich will an dieser Stelle ruhig einmal Herrn Mahler zitieren: Die Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus sei (so wörtlich:) Zitat-Anfang: "im Besatzungsgebiet der westlichen Siegermächte die völkerrechtswidrige Umerziehung der Deutschen zu einer geistigen Krüppelgestalt" (Zitat-Ende) gewesen. Von den schlimmen Entgleisungen der NPD anlässlich des 11. Septembers will ich gar nicht reden. Anrede, am 4. Oktober letzten Jahres hat das Bundesverfassungsgericht denn auch festgestellt, dass die Verbotsanträge der Bundesregierung, des Bundestages und des Bundesrates zulässig und nicht offensichtlich unbegründet sind, also auch genügend Substanz für ein Verfahren bieten. Damit war das Vorverfahren beendet und der Weg zur mündlichen Verhandlung bereitet. Die Verbotsanträge wurden am 19. Dezember durch einen gemeinsamen Schriftsatz der drei Verfassungsorgane aktualisiert. Alle Schriftsätze belegen, dass die NPD eine verfassungsfeindliche Partei ist, die ihre Ziele in aktiv-kämpferischer und aggressiver Weise durchzusetzen versucht. Trotz des schwebenden Verbotsverfahrens ist die NPD von dieser Linie bisher nicht abgewichen, sondern setzt sie beharrlich fort. Ihre Aggressivität beweist besonders die Aufnahme neonazistischer Führungskader aus verbotenen oder aufgelösten Organisationen, die heute immer noch Positionen im Bundesvorstand wie in Landesvorständen inne haben und bewusst das Geschehen sowohl innerhalb der Partei wie auch außerhalb prägen. Anrede, ich sprach es bereits an: Ein besonderes ärgernis ist, dass die NPD, wie bereits in den vergangenen Jahren schon, auch in diesem Jahr mit ihren Demonstrationen unser liberales Versammlungsrecht missbrauchen wird, um ihre verfassungsfeindlichen Anliegen an so manchem Wochenende öffentlich aggressiv zur Schau zu stellen. Damit wird sie auch wieder für die Verkündung ihrer verfassungsfeindlichen Parolen sachsen-anhaltische Polizeikräfte in Größenordnungen binden. Anrede, es ist auch festzustellen, dass der hiesige NPD-Landesverband im vergangenen Jahr seine Strukturen trotz Stagnation in der Mitgliederzahl konsolidieren konnte. Dies wird auch Teil der Darlegungen des Verfassungsschutzberichtes der Landesregierung für das Jahr 2001 sein. Die nunmehr zehn Kreisverbände organisieren die etwa 240 Mitglieder flächendeckend. Darüber hinaus war schon für das letzte Jahr eine zahlenmäßige Zunahme ihrer Aktivitäten zu verzeichnen. Mit dem Ausschlussverfahren gegen den Neonazi HUPKA wollte sich die NPD übrigens nicht etwa mit Blickrichtung auf das Verbotsverfahren entlasten. Diese Maßnahme diente lediglich dazu, den innerparteilichen Führungsanspruch und die Durchsetzungskraft des Parteivorstandes zu demonstrieren. Der hiesige Landesverband schreckte auch nicht davor zurück, Neonazis zu Kreisvorsitzenden zu küren oder einschlägig vorbestrafte Rechtsextremisten aufzunehmen und auf Vorstandsposten wählen zu lassen. Zweifellos fehlen den Rechtsextremisten hierzulande intellektuelle Kapazitäten. Dies schränkt aber die Gefährlichkeit im Einzelfall nicht unbedingt ein. Martialisches und geschlossenes Auftreten sind darauf gerichtet, diejenigen einzuschüchtern, die sich für ein weltoffenes und tolerantes Sachsen-Anhalt engagieren wollen. Anrede, wie Sie aus den Medien wissen, hat es im Zuge des NPD-Verbotsverfahrens Informationspannen gegeben. Ebenso dürften Sie aber auch erfahren haben, dass das Land Sachsen-Anhalt tatsächlich in keiner Weise von diesen Pannen betroffen war. Nach dem Erscheinen des Artikels in der Welt am Sonntag, in dem von einer Quelle aus Sachsen-Anhalt berichtet wurde, was sich nicht bewahrheitet hat, habe ich nach eingehender Prüfung erklärt, dass ich definitiv ausschließen kann, dass eine vom Verfassungsschutz des Landes Sachsen-Anhalt geführte Quelle im Verbotsantrag zitiert wird. Die Behauptung wurde auch nie wieder von einer Zeitung aufgemacht. Damit hatte sich auch die Frage einer Sondersitzung des Innenausschusses des Landtages erledigt . Wäre unser Verfassungsschutz betroffen gewesen, hätte ich selbstverständlich im Innenausschuss Rede und Antwort gestanden. Anrede, in allen drei Verbotsanträgen wird Bezug genommen auf Personen, deren Hauptwohnsitz sich in unserem Land befindet. Zudem sind im Antrag des Bundesrates, der in meinem Haus von Ihnen abgefordert werden kann, Behördenzeugnisse als Beweise angeführt, die von unserer Verfassungsschutzbehörde in das Verfahren eingebracht worden sind. Sie basieren auch auf Berichten von V-Leuten des Verfassungsschutzes. Insgesamt kann ich ausschließen, dass in allen drei vorliegenden Verbotsanträgen und im Nachtrag vom 19. Dezember V-Leute des hiesigen Verfassungsschutzes namentlich erwähnt oder Zitate dieser Personen wiedergegeben werden. Anrede, ich begrüße es, dass die Fraktion der PDS mit ihrer Forderung nach einer grundsätzlichen überarbeitung des Verbotsantrages des Bundesrates den Antrag im Grundsatz unterstützt. Ich halte jedoch eine grundsätzliche überarbeitung des Antrages nicht für erforderlich. Die Argumentation ist schlüssig und stringent, die Beweismittel sind zutreffend und gerichtsfest. Am 11. Februar reichten die bevollmächtigten Anwälte beim Bundesverfassungsgericht einen Schriftsatz ein, der sich mit der V-Leute-Problematik auseinandersetzt, nachdem das Bundesverfassungsgericht die ursprünglich für Anfang Februar vorgesehene mündliche Verhandlung abgesetzt und die Antragsteller aufgefordert hatte, sich dazu zu äußern. In der Antwort wird dargelegt, dass im anhängigen Verfahren kein Verwertungsverbot für Erkenntnisse, die von V-Leuten gewonnen wurden, besteht. Seien es aktuelle oder frühere V-Leute. In der öffentlichkeit ist leider ein falsches Bild entstanden, was die Verwertbarkeit dieses Beweismittels betrifft. Ich sage an dieser Stelle auch, dass zum Zweck der Weiterführung des Verbotsverfahrens, aber auch zur ständigen Beobachtung der NPD und ihrer Nebenorganisationen, der Verfassungsschutz seine vorgesehenen gesetzlichen Befugnisse weiterhin nutzen wird. Selbstverständlich gewinnt der Verfassungsschutz einen großen Teil seiner Erkenntnisse aus offen zugänglichen Quellen. Es wäre aber blauäugig, anzunehmen, man könne allein aus diesen Quellen ein umfassendes Bild von der NPD gewinnen. Die NPD arbeitet mit konspirativen Methoden, um ihre wahren Aktivitäten zu verbergen. So versucht die Partei zum Beispiel, ihre Veranstaltungen und deren Inhalte nach außen hin zu tarnen. Um auch verborgene Aktivitäten beobachten zu können, gestattet das Gesetz dem Verfassungsschutz den Gebrauch nachrichtendienstlicher Mittel zur Informationsgewinnung. Und zum klassischen Repertoire der nachrichtendienstlichen Mittel gehört das Führen von V-Leuten in verfassungsfeindlichen Organisationen. Der Einsatz von V-Leuten bedeutet aber keineswegs willkürliche Eingriffe in die Freiheitsrechte von Bürgern, sondern ist eng an die Rechtsstaatsprinzipien gebunden: Rechtmäßigkeit der Verwaltung, Verhältnismäßigkeit der Mittel und übermaßverbot. Danach kommt der Einsatz von V-Leuten erst in Betracht, wenn die anderen Möglichkeiten der Nachrichtenbeschaffung ausgeschöpft sind. Die Gewinnung und "Nutzung" von V-Leuten in der NPD Sachsen-Anhalts gehorcht den oben genannten Prinzipien. Anrede, seit Beginn der Legislaturperiode kamen aus den Reihen der PDS insgesamt mehr als 60 Kleine Anfragen zum Bereich des Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt, die zeitnah bearbeitet und deren Antworten von mir dem Landtag zugeleitet worden sind. Von diesen Anfragen befassten sich allein etwa 15 mit Skinheadkonzerten und weitere sieben mit den Aktivitäten der NPD. Vielleicht konnten wir Ihre Anfragen aus Geheimhaltungsgründen nicht immer zu Ihrer vollsten Zufriedenheit beantworten. Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir der Parlamentarischen Kontrollkommission im Nachgang ein umfassendes Bild geliefert haben. Dies ist übrigens erst wieder am vergangenen Freitag genau zum heutigen Thema geschehen. Und ich sagte es schon - es wäre blauäugig anzunehmen, dass unser Verfassungsschutz ohne V-Leute ebenso leistungsfähig wäre wie mit. Um weiterhin erfolgreich bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus zu sein, bleibt daher der Einsatz von V-Leuten unverzichtbar. Um vielleicht selbst Herrn Gärtner zu überzeugen, verweise ich nur auf das überaus erfolgreiche Vorgehen gegen Skinheadkonzerte in Sachsen-Anhalt. Wobei uns letztendlich auch Informationen von V-Leuten geholfen haben. Denn es dürfte doch klar sein, dass solche Veranstaltungen, vorsichtig ausgedrückt, nur sehr selten bei den Versammlungs- oder Ordnungsbehörden angemeldet werden! Die Aufdeckung dieser unter äußerst konspirativen Bedingungen zustande gekommenen Veranstaltungen kann häufig nur durch nachrichtendienstliche Methoden gelingen. Wer behauptet, den Rechtsextremismus hier im Lande ohne V-Leute bekämpfen zu können und zu wollen, handelt nach dem Motto: "Wasch´ mir den Pelz, aber mach´ mich nicht nass." Auch zu der vom Abgeordneten Gärtner erst kürzlich gestellten Anfrage über die NPD-Veranstaltungen im Jahr 2001 muss angemerkt werden, dass zwar alle aufgeführten Veranstaltungen offen bekannt geworden sind. Mein Haus hatte jedoch von den meisten vorher schon durch den Einsatz von V-Leuten Kenntnis erlangt, so dass wir in der Lage waren, das Gefahrenpotenzial, insbesondere die Taktik und die Anzahl der Teilnehmer abzuschätzen, und bei Notwendigkeit die Polizeibehörden einzubinden. Anrede, an diesen Problemfeldern müsste eigentlich leicht erkennbar sein, dass der Einsatz von V-Leuten im Bereich des Rechtsextremismus ein unverzichtbares Element für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Land Sachsen-Anhalt darstellt. Eine gesonderte Sitzung von Landtagsausschüssen zu dieser Frage halte ich deshalb nicht für erforderlich. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. 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