Rede von Innenminister Klaus Jeziorsky anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR am 17. Juni 2003
Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 094/03 Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 094/03 Magdeburg, den 17. Juni 2003 Es gilt das gesprochene Wort! Rede von Innenminister Klaus Jeziorsky anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR am 17. Juni 2003 Anrede, an diesen Tagen gedenken wir landauf landab in zahllosen Veranstaltungen jenes Volksaufstandes, der die Machthaber der SED an den Rand der Niederlage brachte. Hunderttausende demonstrierende Menschen dokumentierten an jenem denkwürdigen Tag, dass die SED-Obrigkeit keine ¿ wie sie immer vorgab ¿ Politik im Sinne des Fortschritts und der Mehrheit des Volkes betrieb. Den aufmerksamen Zeitgenossen war nicht entgangen, dass es Unmut unter den Menschen über die Politik der SED gab. Doch dass aus dem Protest gegen die Normerhöhungen innerhalb weniger Stunden ein Volksaufstand gegen das Regime und für die Einheit Deutschlands wurde, war für alle Beteiligten selbst überraschend. Es gab keine Organisation, die die Fäden in der Hand hatte. Es war der allgemeine Unmut über die schlechte Lebenssituation, über fehlende Demokratie und die Teilung Deutschlands, der die Menschen auf die Straße trieb. Der 17. Juni 1953 zählt zu den beeindruckendsten Ereignissen in der Geschichte des deutschen Volkes. Menschen, die es wahrscheinlich am Morgen dieses Tages noch gar nicht für möglich gehalten hatten, protestierten, riefen in Reden zu Veränderungen auf und stellten sich mutig der Obrigkeit in den Weg. Es bedurfte der Roten Armee und des Einsatzes von Gewalt, um der SED-Führung die Macht zu bewahren. Auch in Magdeburg war der Verlauf jenes 17. Juni 1953 dramatisch. Bereits gegen 10:30 Uhr versammelten sich vor dem Justizgebäude und der benachbarten Bezirksbehörde der Volkspolizei mehrere tausend Demonstranten. Ihr Ziel war die Befreiung von hier einsitzenden Häftlingen. Schnell gelang das Eindringen in den Hofbereich, als Schüsse fielen und drei Mitglieder der Sicherheitskräfte getötet wurden. Bei der Räumung des Hofes durch herbeigerufene sowjetische Panzer und Angehörige der Roten Armee wurden drei Demonstranten getötet und ca. 45 Personen zum Teil schwer verletzt. Herbert Stauch, der mit drei weiteren Magdeburgern beim Präsidenten der Bezirksbehörde der Volkspolizei die Forderung nach Freilassung der Inhaftierten gestellt hatte, wurde am nächsten Tag verhaftet und von einem sowjetischen Militärtribunal zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde noch am selben Tag vollstreckt. Hunderte weitere Teilnehmer der Demonstrationen wurden in den Tagen und Wochen nach dem 17. Juni 1953 im Auftrag der SED-Führung verhaftet und abgeurteilt. Einige der Opfer weilen heute unter uns. Es sei mir deshalb gestattet, Sie an dieser Stelle ausdrücklich gesondert willkommen zu heißen und für Ihr Erscheinen zu danken Anrede, all zu lange ist über diese Ereignisse geschwiegen worden. In der DDR hatte die SED-Führung begreiflicherweise kein Interesse an gründlichen historischen Recherchen zu Abläufen, Hintergründen und Beteiligten. Sie interpretierte ¿ auch um ihr Gesicht zu wahren ¿ den Aufstand als einen faschistischen Putschversuch, dessen Rädelsführer in der Bundesrepublik und den USA zu finden wären. Allerdings gelang es der Staatssicherheit aus begreiflichen Gründen nach dem 17. Juni 1953 nicht, die von der Partei- und Staatsführung verlangten Beweise für diese Verschwörungstheorie zu erbringen. Wie sollte sie auch, da es keine faschistischen Provokateure und Hintermänner gegeben hatte. Der 17. Juni 1953 blieb tief verwurzelt in den Erinnerungen jener Männer, deren Sturz nur durch die sowjetische Besatzungsmacht verhindert werden konnte. Alljährlich hatte die Staatssicherheit im Frühjahr einen Arbeitsschwerpunkt zur Ermittlung von so genannten Provokationen im Vorfeld und am 17. Juni. Andersdenkende wurden verschärft observiert, zufällig am 17. Juni stattfindende Betriebsausflüge als Ausgangspunkt möglicher Unruhen angesehen. Bezeichnender Weise stellte Erich Mielke im Herbst 1989 die Frage, ob denn wieder ein 17. Juni vor der Tür stünde. In der Bundesrepublik Deutschland wurde an den 17. Juni 1953 durch einen Gedenktag erinnert, der arbeitsfrei war. Im Laufe der Jahre verlor dieser Gedenktag seinen eigentlichen Inhalt und verkam zu einer willkommenen Gelegenheit eines Familienausfluges. Erst die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes eröffnete die Möglichkeit eines angemessenen und adäquaten Umgangs mit den Ereignissen des 17. Juni. Einen echten Höhepunkt zur Verbreitung von Kenntnissen über die Ereignisse jener denkwürdigen Tage bietet ¿ wie bereits angedeutet ¿ der 50. Jahrestag jenes Volksaufstandes. Mir liegen dabei drei Aspekte besonders am Herzen: Wir sollten die Veranstaltungen, die Publikationen, Filme etc. nutzen, um in der Bevölkerung ein wahrhaftiges Bild von jenen Tagen entstehen zu lassen, denn das Geschichtsbild, das die heutige Generation ¿ übrigens gleichermaßen in Ost und West ¿ über den 17. Juni und die ihm zugrunde liegenden gesellschaftlichen Verhältnisse hat, ist nicht tiefgreifend genug, um die Ursachen und Beweggründe für die demonstrierenden Menschen in Magdeburg, Bitterfeld, Halle und anderswo verstehen zu können. Darüber hinaus sollten wir den Beteiligten, vor allem den Opfern, für ihren Mut und ihre Zivilcourage danken. Dies können wir am Besten tun, in dem wir an unseren Bemühungen zur historischen Recherche festhalten und versuchen, diese mutigen Menschen aus der Anonymität zu holen. Dies wäre, davon bin ich überzeugt, eine späte, aber wohl nicht zu späte Würdigung ihres Engagements und ihres Eintretens für Menschenrechte und die Einheit Deutschlands. Schließlich scheint es mir wichtig zu sein, die Gedenk- und Erinnerungsarbeit an die Ereignisse jenes 17. Juni 1953 nicht lediglich unter dem Zeichen des 50. Jahrestages des Volksaufstandes zu betreiben. Der 17. Juni 1953 muss einen hervorragenden Platz in der Erinnerungskultur unseres Volkes einnehmen. Dies wird aber nur dann der Fall sein können, wenn wir wahrhaftig und dauerhaft ¿ also nicht nur an einem Tag wie dem heutigen ¿ an jene Ereignisse erinnern. In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und verneige mich vor den Opfern. Impressum: Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt Pressestelle Halberstädter Straße 1-2 39112 Magdeburg Tel: (0391) 567-5516 Fax: (0391) 567-5519 Mail: pressestelle@mi.lsa-net.de
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