Rede des Präsidenten des Bundesrates Prof. Dr. Wolfgang Böhmer zu TOP 5 ?Einsetzung einer gemeinsamen Föderalismuskommission? der Sitzung des Bundestages am 16. Oktober 2003
Staatskanzlei - Pressemitteilung Nr.: 499/03 Staatskanzlei - Pressemitteilung Nr.: 499/03 Magdeburg, den 16. Oktober 2003 Rede des Präsidenten des Bundesrates Prof. Dr. Wolfgang Böhmer zu TOP 5 ¿Einsetzung einer gemeinsamen Föderalismuskommission¿ der Sitzung des Bundestages am 16. Oktober 2003 Es gilt das gesprochene Wort! Anrede, über die grundsätzliche Notwendigkeit einer Föderalismusreform besteht unter uns ein breiter parteiübergreifender Konsens. Dies gilt auch für die allgemeine Zielsetzung, bei einer Reform der bundesstaatlichen Ordnung zu einer klareren Zuordnung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern und zu einer Neuordnung der Mischfinanzierungen zu gelangen. Bei den jeweiligen Schwerpunktsetzungen gibt es allerdings je nach Interessenlage gravierende Unterschiede: · Für den Bund hat eine Reduzierung der Bundesratsmitwirkung durch Verringerung der Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze Vorrang. · Die Länder fordern mehrheitlich mehr eigene Gestaltungsmöglichkeiten bei der Gesetzgebung und eine Zusammenführung von Aufgaben- und Ausgabenkompetenz durch eine Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierungen. · Für die Wirtschaft ist das umständliche und langwierige Zusammenspiel von Bundes- und EU-Ebene sowie den einzelnen Bundesländern ein echter Standortnachteil. Vor dem Hintergrund der Globalisierung und des internationalen Konkurrenzdrucks ist sie auf schnelle Entscheidungen vor Ort angewiesen. · Die Bürgerinnen und Bürger müssen nachvollziehen können, welche Entscheidungen an welcher Stelle verantwortet werden. Entscheidungen müssen so bürgernah wie möglich getroffen werden. Es ist eine ausgesprochen anspruchsvolle Aufgabe für die gemeinsame Föderalismuskommission, diese unterschiedlichen Interessenlagen zu einem Gesamtkonzept zusammen zu führen. Angesichts der gegenwärtigen Rahmenbedingungen - stagnierendes Wirtschaftswachstum, internationaler Wettbewerbsdruck, hohe Arbeitslosigkeit - sind Reformen für Deutschland notwendiger denn je. Für mich steht außer Frage, dass einige zur Zeit diskutierten Reformanliegen nur eine Chance auf eine erfolgreiche Umsetzung haben, wenn auch die Föderalismusreform gelingt. In seiner derzeitigen Ausgestaltung ist der deutsche Föderalismus an eigene Grenzen gestoßen. Das ist im Bundesrat schon früh erkannt worden. 1998 hat einer meiner Vorgänger im Amt des Bundesratspräsidenten, der heutige Bundesfinanzminister Eichel, die Einsetzung einer Reformkommission angeregt, wie wir sie jetzt schaffen. Die Ministerpräsidenten der Länder sind bereits im Oktober 2001 übereingekommen, Verhandlungen mit dem Bund über die Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung aufzunehmen. Im Dezember 2001 haben sich die Regierungschefs von Bund und Ländern über die Notwendigkeit einer Überprüfung der bundesstaatlichen Ordnung im Hinblick auf die Zweckmäßigkeit und Effizienz der Aufgabenerfüllung und die Zuordnung der politischen Verantwortlichkeiten verständigt. Die gemeinsame Position der Länder zielt darauf ab, die politische Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern zu stärken und eine klare Zuordnung politischer Entscheidungen zu den staatlichen Ebenen zu erreichen. Dieses setzt aus Sicht der Länder insbesondere voraus, dass die Gesetzgebungsbefugnisse der Länder dort gestärkt werden, wo die Länder mehr Gestaltungsrechte als bisher benötigen, um spezifischen regionalen Bedürfnissen durch die Landesgesetzgebung gerecht werden zu können. Zu diesem Zweck sollen Gesetzgebungsbereiche wie z.B. die Förderung der wissenschaftlichen Forschung oder das Wohnungswesen aus der Zuständigkeit des Bundes an die Länder übertragen und den Ländern durch verfassungsrechtliche Zugriffsrechte und Öffnungsklauseln Möglichkeiten eröffnet werden, von vorhandenen bundesrechtlichen Regelungen abweichen zu können. Die Rahmengesetzgebung soll nach Vorstellung der Länder aufgelockert werden, da sich die Verflechtung zwischen bundesrechtlichen Rahmenregelungen und ausfüllendem Landesrecht nicht immer bewährt hat. Statt dessen sollten Gegenstände der Rahmengesetzgebung wie z.B. das Hochschulrecht im wesentlichen der Bundesgesetzgebung mit verfassungsrechtlichen Zugriffsrechten für die Landesgesetzgebung zugewiesen werden. Auf diese Weise würden Gesetzgebungsverfahren vereinfacht und beschleunigt. Dieser Entflechtungsschritt wäre auch deshalb sinnvoll, weil Rahmenregelungen heute zunehmend auf der europäischen Ebene getroffen werden. Die Auflösung der Rahmengesetzgebung bei gleichzeitiger Öffnung der jeweiligen Bereiche für eine Länderkompetenz wird die Umsetzung von europarechtlichen Vorgaben erleichtern. Die Zahl zustimmungsbedürftiger Bundesgesetze sollte verringert werden. Im Gegenzug könnte den Ländern ein Zugriff auf bundesgesetzliche Organisations- und Verfahrensregelungen eingeräumt werden. Die Zustimmungspflicht muss allerdings für Gesetze gelten, die in den Ländern besondere Belastungen hervorrufen (z. B. Kosten/ Infrastruktur). Auch im Bereich der Mischfinanzierungen sollte die Eigenständigkeit der Länder gestärkt werden. Die bestehenden Mischfinanzierungstatbestände sind unter diesem Gesichtspunkt auf der Grundlage der bisherigen Beschlüsse zu überprüfen und zu vermindern. Die in der gegenwärtigen Finanzverfassung begründeten Mischfinanzierungen engen die haushaltspolitischen Gestaltungsspielräume der Länder in einem beträchtlichen Maße ein. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel werden allein durch die Bund-Länder-Mischfinanzierungskonditionen ca. 42% des Investitionshaushalts faktisch festgelegt. Die Entscheidungen über die Prioritäten der Landesinvestitionspolitik werden daher in der politischen Wirklichkeit ganz wesentlich auch auf der Bundesebene getroffen. Ein solidarischer Ausgleich von gesamtstaatlich nicht hinnehmbaren strukturellen Unterschieden muss allerdings auch zukünftig gewährleistet bleiben. Bei der Neuordnung der Finanzverflechtungen zwischen Bund und Ländern geht es mittelfristig darum, größere Freiheiten bei der Verfügbarkeit der Mittel innerhalb der Gemeinschaftsaufgaben zu erlangen. Für die Länder stehen diese Verhandlungen grundsätzlich unter dem Vorbehalt, dass die dort bislang eingesetzten Mittel bis zum Jahr 2019 vollständig, dauerhaft und dynamisiert als freie Mittel zur Verfügung gestellt werden. Durch die Reform darf kein Land finanziell schlechter gestellt werden als bisher. Auch Fragen der Steuererhebungspraxis sind mit dem Ziel einer Modernisierung und der Steigerung der Effizienz der Steuerverwaltung einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. In den Verhandlungen zur bundesstaatlichen Modernisierung sollten Regelungskompetenzen für Steuern, deren Ertrag vollständig den Ländern bzw. den Kommunen zufließen, im Hinblick auf eine mögliche Stärkung der Steuergesetzgebungskompetenzen der Länder überprüft werden. Im Rahmen der Reformüberlegungen ist auch die ¿Europakompatibilität¿ von Grundgesetz und bundsstaatlicher Ordnung besonders zu berücksichtigen. Dieser Aspekt ist nicht nur für uns von besonderer Bedeutung. Die Modernisierung in Deutschland wird auch von anderen Staaten in Europa mit Interesse beobachtet. Die Europäische Union hat in dem jetzt auslaufenden Jahr der Bundesratspräsidentschaft Sachsen-Anhalts auf diesem Gebiet deutliche Fortschritte gemacht. Der Europäische Konvent hat den Entwurf eines Vertrags für eine europäische Verfassung vorgelegt. Die Verträge über die Erweiterung der Europäischen Union um zunächst zehn neue Mitgliedstaaten wurde ratifiziert. Zukünftig wird auf EU-Ebene noch verstärkt über Themen entschieden werden, die Zuständigkeiten der Länder unmittelbar berühren. Die im Verfassungsentwurf verankerte Kompetenzabgrenzung und Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips macht nur Sinn, wenn die verfassungsmäßige Ausübung dieser Rechte innerstaatlich entsprechend gesichert ist. Der Bundesrat ist sich dabei der Tatsache bewusst, dass in Europa verschiedene Konstruktionen Zweiter Kammern bestehen und unterschiedliche Lösungswege vorhanden sind. Wir sollten deshalb bei der Modernisierung unserer Verfassungsordnung den Blick über die Grenzen zu unseren Nachbarn nicht vernachlässigen. Das Leitbild des Grundgesetzes ist der sog. kooperative Föderalismus. Oberstes Ziel der Finanzverfassung ist es, alle Länder und den Bund finanziell so auszustatten, dass sie ihren Aufgaben gerecht werden können. In der Reformdebatte wird gelegentlich die Auffassung vertreten, dass ein mehr autonomieorientierter Systemwechsel hin zu einem Wettbewerbsföderalismus unabdingbar sei. Der Begriff des Wettbewerbsföderalismus wurde in der letzten Zeit sehr strapaziert. Diesen Begriff brauchen jedoch auch die wirtschaftlich schwächeren Länder dann nicht zu fürchten, wenn man sich auf die Selbstverständlichkeit verständigt, dass hierzu Chancengleichheit bei den Startbedingungen gehört. Davon sind wir aber noch weit entfernt. Anrede, ich hoffe, dass die heute zu beschließende gemeinsame Verfassungskommission in Hinblick auf den Handlungsbedarf Reformvorschläge vorlegen wird, die es ermöglichen, das System der bundesstaatlichen Ordnung auf eine neue handlungsfähige Grundlage - auch im europäischen Kontext - zu stellen. Ich glaube, dass die Regelungen des Einsetzungsbeschlusses eine ausreichende Grundlage dafür sind, diese schwierige Aufgabe erfolgreich in Angriff zu nehmen. Die vorgesehene Beteiligung der Landtage und Kommunalen Spitzenverbände halten wir für angemessen. Herrn Bundestagspräsidenten Thierse danke ich an dieser Stelle für die konstruktive Zusammenarbeit, die es ermöglicht hat, dass offene Punkte kurzfristig geklärt werden konnten und Ihnen der Beschlussvorschlag in der heutigen Form vorgelegt werden kann. Impressum: Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt Pressestelle Domplatz 4 39104 Magdeburg Tel: (0391) 567-6666 Fax: (0391) 567-6667 Mail: staatskanzlei@stk.sachsen-anhalt.de
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