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Magdeburg, den 17.12.2004

Redebeitrag von Innenminister Klaus Jeziorsky Aktuelle Debatte

Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 207/04 Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 207/04 Magdeburg, den 17. Dezember 2004 Redebeitrag von Innenminister Klaus Jeziorsky Aktuelle Debatte Anrede, im Jahr 1945, also in der Endphase des 2. Weltkrieges, fielen deutsche Städte den Bombenangriffen der Alliierten zum Opfer. Auch das heutige Sachsen-Anhalt war davon betroffen, wenn ich etwa nur an Magdeburg und Halberstadt denke. In dieser Endphase des Krieges wurden aber nicht nur Städte und Dörfer zerstört, sondern es fanden auch unzählige Menschen dabei den Tod. Der 60. Jahrestag der Angriffe wird vielerorts zum Anlass genommen, dieser furchtbaren Geschehnisse und der unzähligen Opfer zu gedenken. Entsprechende Veranstaltungen sind schon geplant. Um so beschämender ist es für uns alle, wenn wir heute hören müssen, dass rechte Gruppierungen versuchen, diese Gedenkveranstaltungen im kommenden Jahr für ihre Zwecke zu vereinnahmen und zu missbrauchen. Das beschämt deshalb so, weil gerade diejenigen, die sich auch heute noch von nationalsozialistischen Parolen blenden lassen, Gedenkveranstaltungen zu den furchtbaren Folgen der damaligen Politik umfunktionieren wollen, um ihre extremistischen Ziele zu befördern. Dabei ist sich die Landesregierung der Gefahr, die vom Rechtsextremismus ausgeht, sehr bewusst. Diese Gefahren lauern ¿ leider ! ¿ überall, wie schon ein kurzer Blick in unser Nachbarland Sachsen beweist. Mit dem Einzug der NPD in das sächsische Parlament kommt der Rechtsextremismus auch im parlamentarischen Raum wieder zum Zuge. Ich darf Ihnen daher versichern, dass sich die Landesregierung gewissenhaft der Beobachtung und Bekämpfung des Rechtsextremismus jedweder Art widmet. Aber ¿ und das will ich an dieser Stelle auch betonen ¿ wir schauen nicht nur nach rechts. Extremismus jeder Art gefährdet unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, und deshalb ist es geboten, gegen Extremismus generell, gleich welcher Couleur, entschlossen vorzugehen. Anrede, bei dieser aktuellen Debatte geht es aber ganz speziell um die Gefahren des Rechtsextremismus, und deshalb will ich die Gelegenheit nutzen, dieses Feld einmal etwas näher zu beleuchten: Die Wahlerfolge der NPD und der DVU im Sommer diesen Jahres ließen uns alle aufschrecken. Die von führenden Rechtsextremisten aus dem Parteienbereich und der neonazistischen Szene propagierte "Rechte Volksfront" verunsichert öffentlichkeit und Politik. Das ist zweifellos eine ernst zu nehmende Entwicklung, und deshalb befasst sich die Verfassungsschutzbehörde unseres Landes auch intensiv mit diesen Vorgängen. Es liegen verlässliche Informationen über das politische Agieren und die strukturelle Entwicklung der rechtsextremistischen Parteien in Sachsen-Anhalt vor. Danach ist die von verschiedenen Seiten beschriebene "braune Volksfront" bislang eine Wunschvorstellung vieler Rechter, aus der eine tiefe Niedergeschlagenheit angesichts der jahrelangen Bedeutungslosigkeit und ständigen Wahlniederlagen spricht. Die NPD gehört zweifelsohne zu den aktivsten rechtsextremistischen Parteien in Sachsen-Anhalt. Sie konnte in diesem Jahr die Mitgliederstärke leicht erhöhen. Derzeit sind knapp 200 Personen in der NPD in neun Kreisverbänden organisiert. Dem Landesverband fehlt es jedoch an inhaltlicher Tiefe. Ideen für die politische Arbeit werden von der Bundespartei adaptiert, mit politischen Themen setzt man sich nur oberflächlich auseinander. Die breite öffentlichkeit wird kaum erreicht. Die anderen Parteien des rechten Lagers wie die "Deutsche Volksunion (DVU), "Die Republikaner" und die "Deutsche Partei" (DP) spielen in unserem Land so gut wie keine Rolle, sie sind für den Bürger fast nicht wahrnehmbar. Die Parteivorsitzenden von NPD und DVU kamen im Sommer diesen Jahres überein, sich bei den am 19. September 2004 stattfindenden Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen nicht durch gleichzeitige Kandidaturen zu behindern. Aus wahltaktischen Gründen empfahl man, in Sachsen die NPD und in Brandenburg die DVU zu wählen. Es ist zu erwarten, dass diese Strategie weiter praktiziert werden wird. Vor allem will man rechtzeitig vor der Bundestagswahl 2006 die Weichen stellen. Diese Strategie verfolgt auch der sachsen-anhaltische NPD-Landesvorsitzende Andreas KARL. Auf einem Parteitag am 18. September 2004, auf dem KARL erneut zum Landesvorsitzenden gewählt worden ist, deutete er eine engere Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremistischen Parteien und Organisationen an. Wir beobachten hier eine zumindest partielle Aufgabe der Partikularinteressen zugunsten eines gemeinsamen Zieles. Von einer Sammlungsbewegung im Bereich des organisierten Rechtsextremismus zu sprechen, halte ich jedoch für verfrüht. Ganz klar ist, dass es in nicht-parteigebundenen Kreisen des rechtsextremistischen Spektrums Bemühungen gibt, am Erfolg von NPD und DVU teilzuhaben. Im übrigen trifft das auch für die kleineren rechtsextremistischen Parteien zu. Zu nennen ist an dieser Stelle die "Deutsche Partei ¿ Die Freiheitlichen" (DP), deren größter Landesverband in Sachsen-Anhalt existiert, denn die ehemalige DVU-Absplitterung FDVP ist in der "Deutschen Partei" aufgegangen. Die DVU hatte mehrere Wahlerfolge auf Landesebene, blieb aber bis heute ein vom Parteivorsitzenden ideell und finanziell abhängiges Kunstprodukt mit schwacher sozialer Verankerung, chronisch knapper Personaldecke und unterentwickeltem Parteileben. Auch ist in jüngster Zeit immer wieder die Rede von einer engeren Zusammenarbeit der NPD mit Neonazis. Der NPD-Parteivorsitzende VOIGT rief im letzten Jahr alle sogenannten nationalkonservativen Konkurrenzparteien und Organisationen auf, zum "nationalen Original" zurückzukehren. Der Kampf um Deutschland habe begonnen, man möge sich einreihen. Ob die im rechten Lager vorherrschenden Partikularinteressen zugunsten einer wie auch immer gearteten Sammlungsbewegung überwunden werden können, bleibt abzuwarten. Die Entwicklung in Sachsen-Anhalt haben wir dabei gut im Blick. Die Attraktivität der Neonaziszene scheint für einige junge Menschen ungebrochen zu sein. Für Sachsen-Anhalt verzeichnen wir seit einigen Jahren ein gleichbleibendes Potenzial von etwa 250 Personen. Diese Szene ist in regional verankerten Gruppen von 20 und mehr Personen organisiert. Diese Personenzusammenschlüsse bezeichnen sich als Kameradschaften oder neuerdings auch als "Freie Nationalisten". Diese Gruppen nehmen einen positiven Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus und verherrlichen dessen Führer. Anrede, eine augenfällige Gefährlichkeit erreicht der Rechtsextremismus immer dann, wenn politisch motivierte Straf- oder gar Gewalttaten ins Spiel kommen. Immer wieder erreichen uns Nachrichten über gewalttätige fremdenfeindliche übergriffe oder Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken. Der Anteil der rechtsextremistisch motivierten Kriminalität am Gesamtaufkommen politisch motivierter Delikte liegt unverändert bei rund 80 Prozent. Dabei bilden die so genannten Propagandadelikte, d.h. die Verwendung verfassungswidriger Symbolik, den Hauptanteil. Die Gewalttaten im Bereich des Rechtsextremismus sind gegenüber dem Vorjahr leicht angestiegen. Erfreulich bleibt jedoch, dass seit 1998 (104 Fälle) bis heute (55 Fälle) eine rückläufige Tendenz in diesem Bereich festzustellen ist. Im Fokus der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden stehen auch die zahlreichen Aktivitäten der rechtsextremistischen Musik- und Vertriebsszene. Während rechtsextremistische Skinhead-Musik nach wie vor ein wichtiger Identifikationsfaktor der Szene ist und mit rassistischen und antisemitischen Texten Feindbilder aufbaut, fungieren einschlägige Vertriebe und Verlage als Multiplikatoren von rechtsextremistischer Ideologie und teilweise strafbewehrten Publikationen und Tonträgern. Noch vor den Sommerferien planten die Initiatoren eines so genannten "Schulhof-Projektes" eine kostenlose, flächendeckende Verteilung einer professionell aufgemachten CD an Jugendliche. Operative Maßnahmen der Sicherheitsbehörden und eine konsequente Information der öffentlichkeit ließen das aus Sicht der Rechten ehrgeizige und kostspielige Projekt scheitern. Sie werden mir zustimmen, wenn ich dies als großen Erfolg werte. Anrede, wir müssen weiter wachsam bleiben und gegen extremistische Tendenzen jeder Art entschlossen vorgehen. Das ist eine fortwährende, wichtige Aufgabe, die nicht nur von unseren Sicherheitsbehörden geleistet werden kann. Wir alle sind aufgefordert, daran mitzuwirken, um gemeinsam die Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaft verteidigen und bewahren zu können. ¿ Vielen Dank. Impressum: Verantwortlich: Dr. Matthias Schuppe Pressestelle Halberstädter Straße 1-2 39112 Magdeburg Tel: (0391) 567-5516/5517 Fax: (0391) 567-5519 Mail: pressestelle@mi.lsa-net.de

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