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Magdeburg, den 07.04.2005

Rede von Innenminister Jeziorsky bei der Übergabe des neuen Gedenkstättenbereiches in Langenstein-Zwieberge

Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 043/05 Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 043/05 Magdeburg, den 8. April 2005 Es gilt das gesprochene Wort! Rede von Innenminister Jeziorsky bei der Übergabe des neuen Gedenkstättenbereiches in Langenstein-Zwieberge 60 Jahre ist es her, dass die Alliierten Deutschland eroberten und das Naziregime beseitigten. Leider war das deutsche Volk nicht in der Lage, sich aus eigener Kraft von diesem Terrorregime zu befreien. Ihm sowie den anderen Völkern Europas wäre viel erspart geblieben. Es ist wohl davon auszugehen, dass auch Halberstadt nicht zerstört worden wäre. Doch am 11. April 1945 legten alliierte Bomber auch diese traditionsreiche Stadt in Schutt und Asche. Man kann sicherlich unterschiedlicher Meinung über den militärischen Sinn dieses Bombenangriffs sein, doch muss man eindeutig feststel­len: Es waren deutsche Soldaten, die im September 1939 Polen überfielen, 1940 große Teile Westeuropas einnahmen und ab 1941 versuchten, die Sowjetunion zu erobern. Dabei begingen Deutsche im Namen und im Auftrag des so genannten ¿Führers¿ unglaubliche Menschenrechtsverletzungen. Im Rahmen dieses Systems wurden unvorstellbare Verbrechen an unschuldigen Menschen verübt, seien es Deutsche, die aus politi­schen oder anderen Gründen nicht in das Konzept der Nazis passten, oder Ausländer aus vielen Ländern. Dieses KZ-System war Teil der NS-Gesellschaft und Ergebnis einer menschenverachtenden Ideologie. Anfänglich berichteten sogar die Zeitungen von der Ein­richtung der Lager. Ab etwa 1943, als der Kriegsverlauf die Nazis zur Mobilisierung aller Kräfte zwang, wurde das KZ-System unmittelbar in die Gesellschaft hineingetragen. Nicht nur KZ-Sklaven bauten hier in den Thekenbergen bei Halber­stadt an einem unterirdischen System, das zur Verlagerung von Rüstungsproduktion dienen sollte, auch zivile Firmen aus der Um­gebung waren an dem Bauvorhaben beteiligt. Jeden Tag arbeiteten hier Halberstädter, in den letzten Monaten des Krieges diente der Stollen für die Bevölkerung der Stadt als Schutzraum vor den Bom­benangriffen. Allein diese Bemerkungen verdeutlichen: Die Konzentrationslager befanden sich nicht irgendwo weit weg, das System der Entrechtung und Versklavung reichte weit in die Gesellschaft hinein. Wer sehen wollte, der konnte sehen, dass hier in Langenstein Häftlinge unter entwürdigenden, ja tot bringenden Bedingungen leben und arbeiten mussten. Mehrere tausend Häftlinge verstarben an diesem Ort. Sie starben an Krankheiten, an Unterernährung, bei Arbeitsunfällen, sie wurden an der Todeskiefer hingerichtet oder auf dem Todesmarsch einfach liquidiert und blieben am Wegrand liegen. Als die US-Soldaten am 11. April 1945 das Lager hier erreichten, bot sich ihnen ein schreckliches Bild: Berge von Leichen türmten sich auf, die Lebenden waren geschwächt, krank, in einem entsetzlichen Zustand. Bis 1990 wurde in der Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge eine Gedenkstättenarbeit be­trieben, die in weiten Teilen die Geschichte dieses Konzentrationsaußenlagers verfälschend dargestellt hat. Dazu zählt auch das Schicksal der Untertageanlage nach dem Krieg. Auf der einen Seite baute die Nationale Volksarmee der DDR einen Teil der Anlage zum Rüstungs­depot aus, auf der anderen Seite wurde ehemaligen Häftlingen erzählt, dass die Anlage ge­sprengt worden wäre. Nach 1989 kamen diese Lügen ans Licht. Seit dieser Zeit fordern die überlebenden Häftlinge die Einbeziehung eines Teils des Stollens in die Gedenkstätte. Im­mer wieder ¿ aber insbesondere zu den ¿Tagen der Begegnung¿ ¿ haben sie diese Forde­rung an diesem Ort vorgetragen. Manchmal leise und eindringlich, manchmal laut und ankla­gend. Als ich vor ca. 2 Jahren bei den ¿Tagen der Begegnung¿ anwesend war und anschlie­ßend mit Angehörigen der ehemaligen Häftlinge und ihrer Nachkommen in der Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge gesprochen habe, habe ich Ihnen versprochen, mich trotz aller Schwierigkeiten für die Realisierung des Planes der Einbeziehung von Teilen der Untertage­anlage in die Gedenkstätte einzusetzen. Ich habe Ihnen damals auch mitgeteilt, dass es die Verantwortung vor unserer gemeinsamen Geschichte erfordert, dass wir alles unternehmen, damit die NS-Verbrechen nicht in Vergangenheit geraten. Sie haben erwidert, dass sie uns an unseren Taten messen würden. Ich darf Sie, die ehemaligen Häftlinge, heute hier in der Gedenkstätte Langenstein-Zwie­berge ganz besonders und auf das herzlichste begrüßen. 60 Jahre nach Kriegsende und 60 Jahre nach dem Ende Ihrer Leiden und Qualen an dieser Stätte des Mordens und der Ent­rechtung haben Sie eine weite Reise auf sich genommen, um an diesen ¿Tagen der Begeg­nung¿ 2005 teilzunehmen. Ich darf Ihnen mitteilen, dass mir Ihr Hiersein großen Respekt einflößt. Ihre Anwesenheit bestätigt mir Ihre große Verbundenheit mit dem Ort Ihrer Qualen, aber auch Ihrer Erinnerungen. Ich darf Ihnen heute mitteilen, dass das Land Sachsen-Anhalt erhebliche Anstrengungen unternommen hat, um die ersten 110 m der Untertageanlage so herzurichten, dass sie für den dauerhaften Betrieb freigegeben werden können. Ich will an dieser Stelle nicht verhehlen, dass es dem Land nicht leicht gefallen ist, die hierfür notwendi­gen Finanzen aufzubringen. Doch wir haben es geschafft, und in wenigen Augenblicken werden wir uns gemeinsam zum ersten Mal Teile der sanierten Untertageanlage ansehen. Ich darf mich an dieser Stelle bei allen an der Realisierung des Projektes Beteiligten, insbe­sondere dem Landesbetrieb Bau, Niederlassung West, des Landes Sachsen-Anhalt und den beteiligten Baufirmen, ganz herzlich für ihr Engagement bedanken. Bedanken darf ich mich auch bei dem Eigentümer der Anlage, Herrn Dr. Triebler. Wir sind heute noch nicht in der Lage, den gesamten für die Gedenkstätte vorgesehenen Stollenbereich der Öffentlichkeit zu übergeben. Doch denke ich, dass wir den Anfang ge­schafft haben und wie sagt man so schön, der Anfang ist das Schwerste. Zukünftig wird es möglich sein, die Untertageanlage regelmäßig zu besichtigen. Ich wünsche mir, dass dieser Stollenteil dazu dienen möge, die Gedenkstättenarbeit hier in Langenstein-Zwieberge noch interessanter und anschaulicher zu machen. Ich bin der festen Überzeu­gung, dass über die unmittelbare Anschauung, insbesondere die Jugendlichen eine noch bessere Vorstellung von dem bekommen, was den Häftlingen unter unglaublichen Bedin­gungen abverlangt wurde. Ich darf mich an dieser Stelle bereits heute beim Förderverein der Gedenkstätte bedanken, der sich bereit erklärt hat, die Einrichtung bei der Präsentation der Untertageanlage zukünftig zu unterstützen. Lassen Sie uns also gemeinsam an die Gestaltung der Zukunft gehen, indem wir hier an unsere gemeinsame, von Menschenrechtsverletzungen und Leid geprägte Vergangenheit erinnern. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Impressum: Verantwortlich: Dr. Matthias Schuppe Pressestelle Halberstädter Straße 2 / Am Platz des 17. Juni 39112  Magdeburg Tel: (0391) 567-5516/5517 Fax: (0391) 567-5519 Mail: pressestelle@mi.sachsen-anhalt.de

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