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Magdeburg, den 12.12.2005

Redebeitrag von Innenminister Klaus Jeziorsky zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung verfassungs­schutzrechtlicher Vorschriften und zur Stärkung des Verfassungsschutzes

Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 175/05 Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 175/05 Magdeburg, den 12. Dezember 2005 Es gilt das gesprochene Wort! Redebeitrag von Innenminister Klaus Jeziorsky zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung verfassungs­schutzrechtlicher Vorschriften und zur Stärkung des Verfassungsschutzes TOP 14 der Landtagssitzung am 8./9. Dezember 2005 - Zweite Beratung - Anrede, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgt die Landesregie­rung insbesondere das Ziel, der Verfassungsschutzbehörde zusätzliche Mittel und Instrumente an die Hand zu geben, damit es auch künftig seine schwierigen Aufgaben der Vorfeldaufklä­rung des Terrorismus und gewaltbereiten Inlandsextremismus erfüllen kann. Wenn wir uns die Terroranschläge von London vom 7. Juli und 21. Juli diesen Jahres ansehen und bewerten und darüber hin­aus Schlussfolgerungen aus den Erkenntnissen des 11. Septembers 2001, der Anschläge von Madrid am 11. März 2004 und des Geschehens im Irak, Afghanistan und anderswo ziehen, dann wird deutlich, dass die Strukturen und Strategien des internationalen Terrorismus nicht statisch sind, sondern sich verändern und schnell weiterentwickeln. Terroristen agie­ren konspirativ und verfügen über weit reichende logistische Fähigkeiten. Um mit dieser Bedrohung fertig zu werden, muss der Verfas­sungsschutz mit den erforderlichen Befugnissen ausgestattet sein. Nur so kann er seiner Aufgabe der Vorfeldaufklärung er­folgversprechend nachkommen. Anrede, lassen Sie mich die Eckpunkte des vorliegenden Entwurfs nochmals kurz skizzieren: Der Verfassungsschutz des Landes erhält nach Artikel 1 des Gesetzesentwurfs das Recht, auch solche Bestrebungen zu beobachten, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten, da sie ein gefährlicher Nährboden für den wachsenden Terrorismus sind. Entspre­chend den Regelungen des Terrorismusbekämpfungsgesetzes des Bundes passt Artikel 1 die Befugnisse des Landesverfassungsschutzes an die des Bundesamtes für Verfassungsschutz an. Es sind danach Auskunftspflichten für Geldinstitute, Luft­verkehrsunternehmen, Postdienstleister, Telekommunikations-dienstleister und Tele­diensteanbieter vorgesehen. Die rechtlichen Hürden bei den neuen Befugnissen sind sehr hoch gesetzt. Entweder müssen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer Katalogstraftat nach dem Artikel 10-Gesetz gegeben sein oder aber es müssen tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für verfassungsschutzrelevante Schutzgüter vorliegen. Das Anordnungsverfahren sowie die Verarbeitung der erhobenen personenbezoge­nen Daten in Bezug auf Löschung, Kennzeichnung und Übermittlungseinschränkun­gen orientieren sich an den strengen Voraussetzungen des G 10-Verfahrens. Das Verfahren unterliegt der Kontrolle der G 10-Kommission. Die G 10-Kommission ist ein unabhängiges, von der Parlamentarischen Kontrollkommission des Landtages bestelltes Gremium. Damit wird eine sehr hohe parlamentarische Kontrolldichte er­möglicht. Anrede, weiterhin sollen mit dem Gesetzentwurf die Regelungen zur Registereinsicht (siehe § 17 Abs. 4 VerfSchG-LSA) und zu den Auskunfts- und Übermittlungsbefugnissen bzw. zum Einsatz des ¿IMSI-Catchers¿ (siehe § 17a Abs. 5 und 6 VerfSchG-LSA) erweitert werden. Von den entsprechenden Befugnissen soll auch zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes bzw. zur Beobachtung des gewaltbereiten Inlandsextre­mismus Gebrauch gemacht werden. Anrede, Artikel 2 des Gesetzesentwurfs schafft die erforderliche gesetzliche Grundlage für Sicherheitsüberprüfungen, die aus Gründen des Geheimschutzes oder des vorbeu­genden personellen Sabotageschutzes erforderlich sind. Aufgabe des Geheimschutzes ist es, die materiellen und personellen Voraussetzun­gen dafür zu schaffen, dass Unbefugte keine Kenntnis von Verschlusssachen erhal­ten. Daher soll das Gesetz zum einen den personellen Geheimschutz in öffentlichen Stellen umfassen. Zum anderen soll es die Sicherheitsüberprüfung von Personen in nicht öffentlichen Stellen regeln, die insbesondere an sicherheitsempfindlichen Stel­len von lebens- und verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt werden oder werden sollen. Das Gesetz soll damit die untergesetzlichen Sicherheitsrichtlinien (vom 19. Oktober 1992) ersetzen. Darüber hinaus trifft es Regelungen für den vorbeugenden personellen Sabotage­schutz auf Landesebene. Hierbei geht es um die Sicherung der Funktionsfähigkeit öffentlicher Einrichtungen und Infrastrukturen, die für das Funktionieren des Ge­meinwesens unverzichtbar sind und die deshalb vor sogenannten Innentätern ge­schützt werden müssen. Mit dem Gesetz wird für die mit einer Sicherheitsüberprüfung verbundenen Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die verfassungsrechtlich gefor­derte gesetzliche Grundlage geschaffen. Anrede, mit dem Gesetzesvorhaben ist schließlich in Artikel 3 ein neues Landesausführungs­gesetz zum Artikel 10-Gesetz verbunden. Damit werden die Änderungen des Arti­kel 10-Gesetzes des Bundes (Gesetz zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 26. Juni 2001) berücksichtigt und die landesrechtlichen Vorschriften durch die Schaffung eines neuen Stammgesetzes und der Ablösung des bisherigen Ausführungsgesetzes angepasst. Die Kontrollbefugnis der G 10-Kommission, als ein unabhängiges, von der Parla­mentarischen Kontrollkommission des Landtages bestelltes Gremium, erstreckt sich nicht nur wie bisher auf Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaß­nahmen nach dem Artikel 10-Gesetz und auf Mitteilungen an die Betroffenen, son­dern auf den gesamten Prozess der Verarbeitung der nach dem Artikel 10-Gesetz erlangten personenbezogenen Daten. Das Gesetz sieht u. a. vor, dass die G 10-Kommission dem Landesbeauftragten für den Datenschutz Gelegenheit zur Stellungnahme bezüglich der Einhaltung der Vor­schriften über den Datenschutz zu Vorgängen geben kann, die in der Zuständigkeit der G 10-Kommission liegen. Auf diesem Weg kann die Kommission den Sach­verstand des Landesbeauftragten für den Datenschutz nutzen. Ferner obliegt der G 10-Kommission die Kontrolle der Ausübung der neuen Aus­kunftsbefugnisse der Verfassungsschutzbehörde nach Artikel 1, da das Verfahren nach den Grundsätzen des G 10-Verfahrens ausgestaltet ist. In intensiven parlamentarischen Beratungen sowohl im Innenausschuss wie auch im Ausschuss für Recht und Verfassung hat der Gesetzentwurf noch inhaltliche Ände­rungen erfahren, die in der nun vorliegenden Beschlussempfehlung dokumentiert sind. An dieser Stelle möchte ich zwei Punkte besonders hervorheben: ¿ Der Gesetzentwurf verzichtet nunmehr dort, wo Regelungen des Bundesrechts in das Landesrecht übertragen werden, auf dynamische Verweisungen. ¿ Bezüglich der Regelungen zum Einsatz des IMSI-Catchers sieht die Beschluss­empfehlung eine Änderung dahingehend vor, dass keine Übermittlung von Zu­fallserkenntnissen beim Einsatz eines IMSI-Catchers an die Strafverfolgungsbe­hörden erfolgt. Darüber hinaus wird der Eingriff in Rechte Dritter auf das unab­dingbare Mindestmaß beschränkt. Die von Dritten erhobenen Daten unterliegen danach einem absoluten Verwertungsverbot und sind zu löschen, sobald die IMSI der Zielperson zweifelsfrei zugeordnet ist. Unabhängig hiervon unterliegen die Maßnahmen zum Einsatz des IMSI-Catchers ebenfalls der Kontrolle der G 10-Kommission, da mit dem IMSI-Catcher Daten er­hoben werden, die dem Schutzbereich des Artikels 10 des Grundgesetzes zuzu­rechnen sind. So wird die G 10-Kommission über die beabsichtigten Maßnahmen vor deren Vollzug unterrichtet. Die G 10- Kommission hat in diesem Zusammenhang die Zulässigkeit und Notwendigkeit des IMSI-Catcher-Einsatzes zu prüfen. Maßnah­men, die die G 10-Kommission für nicht notwendig oder unzulässig erklärt, sind unverzüglich aufzuheben. Aufgrund der entsprechenden Anträge der Regie­rungsfraktionen von CDU und FDP sieht die Beschlussempfehlung zudem vor, dass zum 31. Dezember 2008 eine Evaluierung der bis dahin veranlassten ¿IMSI-Catcher-Maßnahmen¿ erfolgt und die Regelungen zu dessen Einsatz automatisch am 30. Juni 2009 enden, sofern der Landtag sich nicht vor Ablauf dieser Frist für eine Verlängerung dieses nachrichtendienstlichen Mittels entscheidet. Nach Artikel 3 des Mantelgesetzentwurfes ist zudem ein neuer Artikel 4 unter der Überschrift ¿Einschränkung von Grundrechten¿ eingefügt werden. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen mit dem Änderungsgesetz verbundene Grundrechtseinschränkungen eigenständig zitiert werden, auch wenn sie im Stammgesetz bereits zitiert sind. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juli 2005 zu Artikel 19 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes in seiner Entscheidung zur präventiven Telekom­munikationsüberwachung in Niedersachsen wird hiermit Rechnung getragen. Im Übrigen wird mit Artikel 4 jeder nur denkbare Grundrechtseingriff erfasst. Anrede, die von den Oppositionsfraktionen in den Beratungen vorgetragenen Bedenken ge­gen die Regelungen bezüglich der geplanten Novellierung zur Speicherung, Verän­derung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen (§ 10 VerfSchG-LSA) sowie die Verlängerung der Löschungsfristen für gespeicherte personenbezo­gene Daten auf 15 Jahre (§ 11 Abs. 3 VerfSchG-LSA) sind nicht begründet. So stellen wir zum Beispiel insbesondere im Bereich des Rechtsextremismus eine zunehmende Verjüngung des Kreises der Täter und der Verdächtigen fest. Wir wis­sen, dass es in der rechtsextremistischen Skinheadszene Jugendliche im Alter von 12 und 13, 14 Jahren gibt, die zum Teil äußerst gewaltbereit sind. Wir haben daraus die Konsequenz gezogen, dass ‑ um nicht unwiederbringliche In­formationslücken entstehen zu lassen ‑ daher auch Erkenntnisse über Jugendliche nach Vollendung des 14. und vor Vollendung des 16. Lebensjahres in amtseigenen Dateien gespeichert werden müssen, um deren Entwicklungsweg vor dem Hinter­grund ¿jugendlicher Serientäter¿ verfolgen zu können. Eine Speicherung dieses Personenkreises in gemeinsamen Dateien der Verfas­sungsschutzbehörden von Bund und Ländern ist demnach unzulässig. Auch die Verlängerung der Speicherdauer von 10 auf 15 Jahre ist inhaltlich notwen­dig. Mit der Änderung soll die Möglichkeit, Schläfer aufzuspüren, verbessert und die Gefahr von Informationsverlusten verringert werden. Die Arbeit der Verfassungs­schutzbehörde ist gerade darauf angelegt, über längere Zeiträume Entwicklungen zu beobachten. Phasen, in denen Gruppierungen nicht aktiv sind, sind nicht ungewöhn­lich. Hat eine Gruppierung bereits ihre Gewaltbereitschaft dokumentiert, muss sie im Auge behalten werden, auch wenn keine erkennbaren Aktivitäten entfaltet werden. Anrede, lassen Sie mich kurz auf den vorliegenden Änderungsantrag der SPD-Fraktion ein­gehen. Sie tragen damit abermals Dinge vor, die bereits Gegenstand der Aus­schussberatungen waren und dort nach intensiver Erörterung keine Mehrheit gefun­den haben. In den Ausschussberatungen sind die möglichen Auswirkungen der in der jüngsten Vergangenheit zur strafprozessualen und Fragen der polizeilichen Gefahrenabwehr ergangenen Bundesverfassungsgerichtsurteile auf die Befugnisse der Verfassungs­schutzbehörde ausführlich diskutiert worden. Wenn Sie in Ihrem Änderungsantrag nochmals fordern, dass zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung auch außerhalb der Wohnung bei allen verdeckten Maßnahmen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ohne Abstriche und ohne Unterscheidung des jeweiligen Rechtsgebietes umzusetzen sind, kann ich Ihnen nur ¿ wie bereits in den Aus­schussberatungen ¿ sagen: Sie vermengen in unzulässiger Weise die unterschiedli­chen Rechtsgebiete Strassprozessrecht und Gefahrenabwehrrecht und versuchen dann für den Verfassungsschutz Regelungsbedarf abzuleiten. Dabei übersehen Sie, dass der Verfassungsschutz weder eine Strafverfolgungsbehörde im Sinne der Strafprozessordnung noch eine Gefahrenabwehrbehörde im Sinne des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt ist. Gleichwohl werden wir sehr sorgfältig ¿ ohne in Aktionismus zu verfallen ¿ einen et­waigen Regelungsbedarf im Verbund der Verfassungsschutzbehörden prüfen. Die Leiter der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern haben sich bereits darauf verständigt, zu den Fragen der Wohnraumüberwachung und des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel eine Abstimmung herbeizuführen. Dabei wird von besonderem Interesse sein, welche Haltung der Bund zu den Fragen eines möglichen Regelungsbedarfes einnehmen wird, da die Länder und der Bund auf Grund ihrer Zusammenarbeitsverpflichtung möglichst einheitliche rechtliche Grundlagen benötigen. Erst dann ist zu entscheiden, ob und ggf. welcher Novellie­rungsbedarf besteht. Anrede, den Herausforderungen des internationalen Terrorismus sowie des Extremismus können wir nur begegnen, wenn der für die Vorfeldaufklärung zuständige Verfas­sungsschutz in die Lage versetzt wird, Erkenntnisse über Strukturen und Strategien von Terroristen und Extremisten zu gewinnen. Hierzu ist eine ständige Anpassung seiner rechtlichen Grundlagen notwendig. Der vorliegende Gesetzentwurf wird den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen gerecht. Ich bitte Sie deshalb um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzesvorhaben. Impressum: Verantwortlich: Dr. Matthias Schuppe Pressestelle Halberstädter Straße 2 / Am Platz des 17. Juni 39112  Magdeburg Tel: (0391) 567-5516/5517 Fax: (0391) 567-5519 Mail: Pressestelle@mi.lsa-net.de

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