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Magdeburg, den 17.07.2007

Hövelmann stellt Verfassungsschutzbericht 2006 vor

Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 176/07 Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 176/07 Magdeburg, den 18. Juli 2007 Hövelmann stellt Verfassungsschutzbericht 2006 vor - Weiterer Anstieg rechtsextremistischer Straftaten - Gleichzeitige Zunahme des rechtsextremistischen Personenpotenzials - Bedrohung durch internationalen islamistischen Terrorismus stellt hohe Anforderungen an die Sicherheitsbehörden In ihrer gestrigen Kabinettssitzung hat die Landesregierung den von Innenminister Holger Hövelmann (SPD) eingebrachten Verfassungsschutzbericht 2006 beschlossen. Dieser in­zwischen 15. Verfassungsschutzbericht für das Land Sachsen-Anhalt informiert über die wesentlichen Entwicklungen in den Bereichen des politischen Extremismus und beschreibt darüber hinaus die weiteren Arbeitsfelder der Verfassungsschutz­behörde und die rechtlichen Grundlagen ihrer Arbeit. Hövelmann: ¿Der Rechtsextremismus ist längst keine Rand­erscheinung unserer Gesellschaft mehr, sondern stellt nach wie vor eine zentrale Herausforderung für Staat und Zivilgesell­schaft dar. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet sind Strukturen entstanden, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellen. Der Rechtsextremismus beginnt langsam, die Alltagskultur zu durchdringen. Die von ihm aus­gehenden Gefahren haben weiter zugenommen. Jeder von uns muss verinnerlichen, dass der Rechtsextremismus einen konkreten Schaden für uns alle bedeutet, sei es durch die von ihm ausgehende Verhöhnung demokratischer Werte oder ¿ schlimmer noch - durch die brutale Gewalt, die Menschen aus unserer Mitte oft willkürlich trifft.¿ Der menschenverachtende Übergriff auf einen zwölfjährigen Jungen in Pömmelte und das Verbrennen des Tagebuchs der Anne Frank in Pretzien seien die weithin sichtbaren Zeichen der vom Verfassungsschutz bilanzierten Entwicklung, die eine weitere Vergrößerung des rechtsextremistischen Personenpotenzials und damit einhergehend eine Zunahme des entsprechenden Straftatenaufkommens ausweise. Der Minister betonte, dass er nicht die Augen davor verschließe, dass es mehrere Fälle gegeben habe, in denen das Vorgehen einzelner Bediensteter gegen Rechts­extremisten nicht zum gewünschten Erfolg führte. Dies werde nicht verschwiegen, sondern als Anlass zum Gegensteuern gesehen. ¿Nachdem uns die Fälle bekannt wurden, haben wir umgehend reagiert und konkrete Maßnahmen ergriffen. Dabei setzen wir insbesondere auf eine erweiterte verstärkte Aus- und Fortbildung unserer Bediensteten, auf die Verbesserung der Zusammen­arbeit der Sicherheitsbehörden und Kommunen und auf eine verstärkte Sensibili­sierung der Bürgerinnen und Bürger über eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit der Behörden.¿ Dies habe bereits Früchte getragen. So würden beispielsweise Schmierereien mit rechtsextremistischem Hintergrund oder politisch motivierte Auseinandersetzungen bzw. das Abspielen rechtsextremistischer Musik inzwischen deutlich häufiger zur Anzeige gebracht. Neben dem Rechtsextremismus beobachte der Verfassungsschutz weiterhin aufmerksam die Entwicklungen in den anderen Extremismusbereichen. Dies gelte insbesondere für die latenten Gefahren, die sich aus der Tatsache ergäben, dass inzwischen auch Deutschland zum Zielspektrum des internationalen islamistischen Terrorismus zu rechnen sei. Die wichtigsten Themenbereiche im Einzelnen: I.   Rechtsextremismus Die Gesamtzahl der Rechtsextremisten in Sachsen-Anhalt stieg im Berichtsjahr 2006 erneut an. Diese Entwicklung ist insbesondere einer deutlichen Zunahme des gewalt­bereiten rechtsextremistischen Spektrums geschuldet, das sich gegenüber dem Vorjahr um 150 Personen vergrößerte. Der überwiegende Teil parteigebundener Rechtsextremisten ist in der ¿Nationaldemokratischen Partei Deutschlands¿ (NPD) organisiert. Die Mitglieder der NPD-Jugendorganisation ¿Junge Nationaldemokraten¿ (JN) sind fast ausschließlich der Neonaziszene zuzurechnen. Rechtsextremisten[1] 2005 2006 Parteien und Vereinigungen 440 400[2] Neonazis 250 250 Gewaltbereite Rechtsextremisten 650 800 Sonstige Personenzusammenschlüsse 120 120 Gesamt: 1.460[3] 1.570[4] In Sachsen-Anhalt stieg die Anzahl gewaltbereiter Rechtsextremisten auf 800 Personen. Der Anteil der rechtsextremistischen Skinheads ist innerhalb dieses Personenkreises rückläufig, was insbesondere über das äußere Erscheinungsbild Ausdruck findet. Bomberjacke, Springerstiefel und ¿Doc Martens¿-Schuhe werden auch in Sachsen-Anhalt zunehmend von Stilelementen des jugendlichen Mainstreams verdrängt. Modische Kleidung bestimmter Marken, Piercings und der Einfluss anderer subkultureller Strömungen, wie zum Beispiel der Hardcore-Szene, etablieren sich auch im Rechtsextremismus. Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt registrierte für das Jahr 2006 1.240 politisch motivierte Straf- und Gewalttaten[5] ¿rechts¿ (2005: 1.130). Damit stieg die Anzahl der Straftaten erneut über das Vorjahresniveau an. Eine vergleichbare Entwicklung gab es auch auf Bundesebene. Der Anstieg der Straftatenzahlen ist sowohl auf das personelle Anwachsen der subkulturellen Szene als auch auf eine erhöhte Sensibi­lität von Öffentlichkeit und Sicherheitsbehörden sowie auf die Erhöhung des Ermitt­lungsdrucks von Polizei und Justiz zurückzuführen. Dies drückt sich unter anderem in einem erhöhten Anzeigenaufkommen aus. Eine Rolle spielt in diesem Zusammen­hang auch die hohe polizeiliche Präsenz und Kontrollintensität anlässlich der Fuß­ball-WM 2006. Die Anzahl der politisch motivierten Gewaltdelikte ¿rechts¿ stieg auf 122 an (2005: 116). Regionale Gewaltschwerpunkte waren die Regionen Magdeburg und Dessau. Im Landesdurchschnitt wurden 5 Gewalttaten je 100.000 Einwohner verübt. Deutlich gestiegen ist das Straftatenaufkommen an oder im Umfeld von Schulen. Einen Schwerpunkt bildete hierbei das Verwenden von Kennzeichen verfassungs­widriger Organisationen. Der Besuch von rechtsextremistischen Konzerten stellt nach wie vor ein bestimmen­des Element im Leben subkulturell geprägter Rechtsextremisten dar.[6] Diesen Lebensstil nutzen sowohl rechtsextremistische Gruppierungen als auch rechtsextre­mistische Parteien wie zum Beispiel die NPD aus, um ihre Weltanschauung mit Hilfe der Musik zu verbreiten. Die Zahl der in Sachsen-Anhalt durchgeführten Musikveran­staltungen stieg im Berichtsjahr auf 14 einschlägige Konzerte (2005: 11) an. Diese Entwicklung ist auch darauf zurückzuführen, dass die rechtsextremistische Szene nach Wegen sucht, dem staatlichen Druck auszuweichen und ein Eingreifen der Sicherheitsbehörden zu erschweren. So wurde eine Reihe von Konzerten stark konspirativ vorbereitet, als private Feiern angemeldet oder auf Privatgrundstücken, deklariert als ¿geschlossene Veranstaltungen¿, durchgeführt. Konzertveranstaltungen mit rechtsextremistischen Szenebands veranlassen die Teilnehmer immer wieder zu strafbaren Handlungen wie zum Skandieren nationalsozialistischer Parolen, zum Entbieten des ¿Hitlergrußes¿ oder zum Verwenden von Kennzeichen verfassungs­widriger Organisationen. Beispielhaft ist hierfür eine Konzertveranstaltung am 6. Januar 2006 in Neugattersleben (ehemals Landkreis Bernburg), in deren Verlauf Lieder mit rassistischen und fremdenfeindlichen Inhalten sowie den historischen Nationalsozialismus glorifizierende Lieder vorgetragen wurden. Konzertbesucher zeigten zudem wiederholt den ¿Hitlergruß¿. Im Berichtszeitraum haben in Sachsen-Anhalt sieben Online-Vertriebe ihr rechtsex ­ tremistisches Material über professionell gestaltete Webseiten zum Kauf angeboten. Zudem verkauften drei Vertriebe ihre Ware zusätzlich in angeschlossenen Ladenge­schäften. Letztere dienten auch hier als Treffpunkte der regionalen Szene. Daneben traten Einzelhändler auf, die auch ohne Gewerbeanmeldung das entsprechende Sortiment am Rande von Skinheadkonzerten oder anderen rechtsextremistischen Veranstaltungen verkauften. Das Amtsgericht Stendal hat mit Urteil vom 8. Februar 2006 Lutz WILLERT als Auftraggeber der 50.000 so genannten Schulhof-CDs ¿Anpassung ist Feigheit ¿ Lieder aus dem Untergrund¿ vom Vorwurf des Vorrätighaltens eines schwer jugendgefährdenden Trägermediums erstinstanzlich freigesprochen. Nach Auffas­sung des Schöffengerichts sind die Inhalte der CD zwar rechtsextremistisch, system­feindlich und jugendgefährdend, jedoch nicht offensichtlich schwer jugendgefähr­dend. Die Staatsanwaltschaft Halle hat Revision gegen das Urteil eingelegt. Damit hat der allgemeine bundesweite Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Halle vom 4. August 2004 vorerst weiterhin Bestand. Das Oberlandesgericht Naumburg hat der Revision der Staatsanwaltschaft stattgegeben. Damit wird der Prozess um den Vertrieb der Schulhof-CD erneut vor dem Amtsgericht in Stendal verhandelt werden. II. Linksextremismus Die Gesamtzahl der Linksextremisten stieg in Sachsen-Anhalt im Berichtsjahr leicht an. Dies ist insbesondere auf eine Zunahme der Mitglieder und Anhänger der hier existierenden linksextremistischen Parteien und Organisationen zurückzuführen. Linksextremisten[7] 2005 2006 Parteien und sonstige Gruppierungen 245 270 Autonome 290 300 Gesamt: 535 570 Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt registrierte für das Berichtsjahr 291 politisch motivierte Straftaten ¿links¿ (2005: 222). In geringem Umfang nahm auch der Anteil der entsprechend motivierten Gewalttaten zu. Ein Großteil der diesbezüglich festge­stellten 70 Delikte (2005: 65) richtete sich gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Schwerpunktregionen der etwa 300 Personen umfassenden Autonomenszene in Sachsen-Anhalt waren im Berichtszeitraum die Städte Magdeburg und Halle. Aktivitäten in der Harzregion haben zugenommen. Namentlich machten insbeson­dere Gruppierungen wie die ¿Gruppe Internationale Solidarität¿ (GIS) und das ¿Antifaschistische Infoportal¿(AIP) aus Magdeburg auf sich aufmerksam. Daneben gab es Neugründungen wie die ¿Autonome Antifa Magdeburg¿ (AAMD) und die ¿Jugend-Antifa Harz¿ (JAH). Autonome reagierten in stärkerem Maße als bisher auf öffentlichwirksame Aktivitäten von Rechtsextremisten. Dies geschah sowohl durch Gegendemonstrationen aber auch durch so genannte dezentrale Gegenaktionen. Im Zuge des Landtagswahl­kampfes Anfang des Jahres wurde eine Vielzahl von Sachbeschädigungen verübt. In den meisten Fällen wurden Wahlplakate rechtsextremistischer Parteien beschmiert oder zerstört. Unter dem Motto ¿Antifa heißt Angriff!¿ suchten Autonome zudem die direkte Konfrontation mit vermeintlichen oder erkannten Personen des gegnerischen politischen Lagers. Im Berichtszeitraum war ein leichter Anstieg linksextremistisch motivierter Gewalt­taten gegenüber Rechtsextremisten zu verzeichnen. Von den linksextremistischen Parteien und Vereinigungen sind in Sachsen-Anhalt die ¿Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands¿ (MLPD), die ¿Deutsche Kommunistische Partei¿ (DKP), deren Jugendorganisation ¿Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend¿ (SDAJ) und die ¿Kommunistische Partei Deutschlands¿ (KPD/Ost) sowie die ¿Freie Arbeiterinnen und Arbeiter-Union ¿ Internationale Arbeiter Assoziation¿ (FAU-IAA) mit eigenen Strukturen vertreten. Bei den sachsen-anhaltischen Landtagswahlen blieben linksextremistische Parteien und Wahlbündnisse trotz eines im Vergleich zu früheren Wahlen gesteigerten Aufwandes erfolglos. III. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern Die Bedrohung durch den internationalen islamistischen Terrorismus stellte auch 2006 eine große Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar. Die Zahl der weltweiten Terroranschläge nahm stetig zu. Auch europäische Länder rücken zunehmend in den Fokus des islamistischen Terrorismus. Dies trifft leider auch auf Deutschland zu. Belegt wird diese Aussage unter anderem durch die glücklicher­weise fehlgeschlagenen Sprengstoffattentate auf zwei Regionalzüge der Deutschen Bahn AG, die in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz unterwegs waren. Die Gewährleistung der Sicherheit erfordert eine intensive Zusammenarbeit aller in diesem Bereich tätigen Behörden. Mit der Einrichtung des ¿Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums¿ (GTAZ) in Berlin und der Umsetzung verschiedener anderer Vorhaben ¿ wie zum Beispiel der Errichtung einer gemeinsamen Antiterror­datei ¿ wurden weitere Maßnahmen getroffen, um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen. Aktivitäten islamistischer Organisationen in Sachsen-Anhalt wurden nicht bekannt. Allerdings liegen der Verfassungsschutzbehörde Informationen über Einzelpersonen vor, die in Sachsen-Anhalt wohnen, aber strukturell in Aktivitäten extremistischer Gruppierungen in anderen Bundesländern oder im internationalen Raum eingebunden sind.

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