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Magdeburg, den 13.05.2008

Sachsen-Anhalt legt 2. Armuts- und Reichtumsbericht vor / LIGA und Sozialministerium sehen Auftrag an Wirtschaft, Politik und Gesellschaft

Ministerium für Gesundheit und Soziales - - Pressemitteilung Nr.: 048/08 Ministerium für Gesundheit und Soziales - Pressemitteilung Nr.: 048/08 Magdeburg, den 9. Mai 2008 Sachsen-Anhalt legt 2. Armuts- und Reichtumsbericht vor / LIGA und Sozialministerium sehen Auftrag an Wirtschaft, Politik und Gesellschaft Rund 14 bis knapp 20 Prozent der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt sind von materieller Armut betroffen. Zu dieser Einschätzung gelangt der 2. Armuts- und Reichtumsbericht  Sachsen-Anhalt, den am Freitag Sozialstaatssekretärin Prof. Dr. Christiane Dienel sowie die Vorsitzende der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege, Dr. Gabriele Girke, in Magdeburg vorstellten. Der rund 200 Seiten starke Bericht wurde mit dem Statistischen Landesamt und in Kooperation mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg erarbeitet. Am Dienstag wurde er im Kabinett beraten, nunmehr wird er dem Landtag zur weiteren Diskussion zugeleitet. Der Armuts- und Reichtumsbericht gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil wird vom Sozialministerium verantwortet. Der zweite Part unter der Überschrift ¿Armut begegnen¿ wurde von der LIGA geschrieben und unverändert in den Gesamtbericht aufgenommen. Beide Teile gemeinsam garantieren nach Ansicht von LIGA und Sozialministerium eine hohe Aussagekraft. Er ist handlungsorientiert, enthält authentische Fallbeispiele und macht Lösungsvorschläge. Einen besonderen Schwerpunkt legt der Bericht auf das Problem der Kinderarmut. Etwa ein Drittel (32,6 Prozent) der unter 15-jährigen Kinder in Sachsen-Anhalt leben demnach in Haushalten, die auf staatliche Unterstützung nach dem SGB II angewiesen sind. Kinder von Alleinerziehenden sind demnach stärker von Armut bedroht oder betroffen als Kinder in Familien mit zwei Elternteilen. Girke und Dienel erklärten übereinstimmend vor der Presse: ¿Der Armuts- und Reichtumsbericht ist Auftrag an Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gleichermaßen, dafür Sorge zu tragen, dass die Menschen in würdigen Verhältnissen leben können. Zunächst ist Armut eine Frage des fehlenden Einkommens. Dagegen helfen vor allem Arbeit sowie ein Lohn und Gehalt, mit denen auch  ein selbst bestimmtes Leben möglich ist. Staatssekretärin Dienel betonte: ¿Die Landesregierung allein kann Armut nicht beseitigen. Wir setzen aber alles daran, dass aus materieller Armut keine soziale, kulturelle oder Bildungsarmut wird. Kinder aus Elternhäusern mit wenig Geld dürfen nicht ausgegrenzt und stigmatisiert werden. Die Politik der Landesregierung setzt auf gleiche Bildungschancen für alle. Kernelement dabei ist das bundesweit vorbildliche System der Kinderbetreuung und Kinderförderung. In den Kitas legen wir die Grundlagen für spätere Bildungs-, Berufs- und damit Lebenswege.¿ Mit einem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung von der Geburt an bis zum Abschluss der sechsten Schulkasse und einem gesetzlich verankerten Bildungsauftrag verfügt Sachsen-Anhalt über eines der modernsten Kinderbetreuungsgesetze in Deutschland und Europa. Mit einem umfangreichen Weiterbildungsprogramm für Erzieherinnen und Erzieher und einem Hochschulstudiengang für Leiterinnen und Leitern von Kindertagesstätten wollen wir die Qualität der frühkindlichen Bildung in den Einrichtungen weiter stärken.¿ Dienel nannte ¿mehr Arbeit und eine gerechte Entlohnung¿ als die zentralen Elemente im Kampf gegen Armut. Die Staatssekretärin sagte: ¿Es ist ein Skandal, dass im Jahr 2008 eine Vollzeitbeschäftigung nicht in jedem Fall ausreicht, um von diesem Lohn auch wirklich in Würde leben zu können. Besonders betroffen von dieser Situation sind Frauen. Laut einer Erhebung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der Hans-Böckler-Stiftung werden in Sachsen-Anhalt nicht selten Stundenlöhne von drei Euro für eine Friseurin, vier Euro für eine Wachschutzmitarbeiterin, gut fünf Euro für eine Floristin oder 6,23 Euro für eine Pflegekraft gezahlt. Von Billiglöhnen sind längst nicht mehr allein so genannte Minijobber und Teilzeitkräfte betroffen. Vielmehr gibt es die Entwicklung, dass auch bei Vollzeitbeschäftigung das Existenzminimum nicht automatisch gesichert ist.¿ Dienel betonte: ¿Wenn es den Tarifparteien nicht gelingt, eine Existenz sichernde Entlohnung mit einander zu verhandeln, dann muss der Staat eingreifen. Dann muss es flächendeckend Mindestlöhne geben. Arbeit muss sich lohnen.¿ Dienel sprach sich weiterhin für eine Reform der Familienförderung in Deutschland aus. Sie sagte: ¿Der Staat gibt jährlich rund 189 Milliarden Euro für Familien aus. Etwa 112 Milliarden Euro davon sind direkt familienbezogen, die restlichen gut 77 Milliarden Euro fördern die Ehe. Es stellt sich die Frage: Kommt das Geld auch wirklich an, kommt es vor allem den Kindern wirklich zugute?¿ Dienel mahnte ein neues ¿einfaches, transparentes und damit in hohem Maße Bewusstsein bildendes Gesamtkonzept der Familienförderung¿ an. Ein Ausbau finanzieller Leistungen für Familien dürfe nicht auf Kosten eines dringend notwendigen Ausbaus der Infrastruktur für Erziehung, Bildung und Betreuung gehen.¿ Dienel sprach sich für mehr Sachleistungen aus, ebenso für eine ¿Novellierung bis Abschaffung¿ des Ehegattensplittings zugunsten einer Förderung von Familien mit Kindern. Dienel sagte: ¿Perspektivisch sollte es zu einer Abschaffung des Ehegattensplittings zugunsten einer stärkeren Familienförderung kommen. Die neue Förderung sollte jedoch nicht über Steuervergünstigungen erfolgen, da das Einkommensniveau in Ostdeutschland dazu führt, dass viele Familien davon nichts haben.¿ Die Staatssekretärin unterstütze Überlegungen, Familien besser zu unterstützen, die ein Schulessen für ihr Kind wünschen, dies aber nicht finanzieren können, oder die nicht das nötige Schulmaterial für ihre Kinder bezahlen können. Länder und Kommunen dürften jedoch bei der Finanzierung nicht allein gelassen werden. Dienel: ¿Da ist der Bund mit im Boot, wenn es darum geht, einkommensärmere Haushalte nicht auszugrenzen. Das hat mit Chancengleichheit und Gerechtigkeit laut Grundgesetz zu tun. Es ist im höchsten Maße problematisch, wenn Kinder unregelmäßig oder gar nicht am Schulessen teilnehmen, weil Eltern nicht das Geld haben. Hungrige Kinder lernen schlechter, was zu schulischen Misserfolgen und zu Ausgrenzung führen kann.¿ Für die LIGA sagte Vorsitzende Girke: ¿Die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege - das sind AWO, Caritas, Diakonie, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Deutsches Rotes Kreuz und der Landesverband Jüdischer Gemeinden - will mit ihrer Mitwirkung am Armuts- und Reichtumsbericht dazu beitragen, dass spezifische Daten und Erfahrungen über die Lebensbedingungen armer und ausgegrenzter Menschen in Sachsen-Anhalt öffentlich werden. Unsere unmittelbare Berührung mit der Lebenswirklichkeit dieser Menschen drängt und legitimiert uns dazu. Als Mitgestalter des Sozialstaates verstehen sich die Wohlfahrtsverbände als Anwälte für sozial Benachteiligte und auch als kritischer Partner politisch Verantwortlicher.¿ Girke betonte, dass die Zusammenhänge zwischen mangelndem Einkommen, Bildung, Gesundheit und sozialer Teilhabe zu beachten seien. Sie sagte: ¿Armut ist eine individuelle Lebenslage, die von sozialer Ausgrenzung, hohen gesundheitlichen Risiken und mangelnden Zukunftschancen begleitet wird. In diesem reichen zivilisierten Deutschland leben zu viele Menschen in einem kläglichen Alltag, vor allem zu viele Kinder ¿ das ist ein Armutszeugnis für uns alle! Wir sehen es täglich und helfen in Suppenküchen, Kleiderkammern, Beratungsdiensten, Kindertagesstätten, Jugendeinrichtungen, Schulen, Schuldner¿ und Schwangerschaftsberatungsstellen.¿ Die LIGA-Vorsitzende unterstrich: ¿Armutsverhältnisse schneiden insbesondere tief in das Leben von Kindern ein, die in ihnen aufwachsen müssen. Die Zusammenhänge zwischen Armut ¿ Bildung - Gesundheit ¿ sozialer Teilhabe sind vielfach belegt. Der Worte sind genug gewechselt. Nun müssen Taten folgen. Kinderarmut kommt und geht nicht von allein. Eine kindbezogene, frühe Prävention kann dabei aus unserer Sicht Kindern gerechte Zukunftschancen ermöglichen. Der Berichtsteil der Verbände Freier Wohlfahrtspflege zeigt nach den Worten von Girke authentisch und mit Fallbeispielen, wie die Lebenssituation der so genannten ¿schlechter gestellten Familien¿ ist, aber auch welche Hilfen es gibt und was nötig wäre. Girke betonte: ¿Wir brauchen keine Almosen, sondern respektvollen Umgang mit diesen Menschen, präventive Netzwerke gegen Armut von Kindern in ihren Familien, eine bessere  Zusammenarbeit der Behörden und Hilfeeinrichtungen, den Ausgleich von Bildungsbenachteiligungen sowie andere Berechnungsgrundlagen und ein höheres Sozialgeld für Kinder. ¿ Girke und Dienel sprachen sich für eine Fortschreibung der Armuts- und Reichtumsberichterstattung für Sachsen-Anhalt aus.  Dies könnte auch die Grundlage zur Formulierung von Sozialzielen für Sachsen-Anhalt sein. Darauf aufbauend würden sich die gesellschaftlichen Akteure vergleichbar zum Gesundheitsziele-Prozess auf Strategien zu deren Erreichung verständigen. Zu Armuts-Definitionen und Eckdaten aus dem Bericht: Zur Definition von Armut gibt es mehrere Ansätze. Der Bericht nennt die beiden hauptsächlich verwandten Definitionen: Erstens: Die so genannte relative Armutsdefinition. Laut Europäischer Gemeinschaftsstatistik wird ein Durchschnittseinkommen (Medianeinkommen) ermittelt. All jene Personen, die weniger als 60 Prozent davon als Einkommen haben, sind armutsgefährdet. Mit diesem Verfahren wird in den EU-Staaten gearbeitet, so dass eine Vergleichbarkeit der Daten auf Bundes- und europäischer Ebene gegeben ist. Das Sozialministerium hat diesen Definitionsansatz (auch wegen der bundes- und europaweit vergleichbaren Datenlage) gewählt. Für Sachsen-Anhalt bedeutet dies: Das ermittelte Durchschnittseinkommen liegt bei 1.240 Euro. Damit gelten Personen als armutsgefährdet (also als von materieller Armut betroffen), wenn sie über ein Einkommen von weniger als 744 Euro verfügen. Die Armutsgefährdungsquote beträgt demnach 14 Prozent. Von Armut besonders betroffen sind Alleinerziehende (48 Prozent). Diese Quote liegt um 18 Prozentpunkte höher als der Bundesdurchschnitt. Dagegen besteht bei Familien mit zwei Erwachsenen und zwei oder mehr Kindern ein geringeres Armutsrisiko (14 Prozent). Dies ist unter anderem auf die gute Kinderbetreuung zurückzuführen, die es beiden Eltern ermöglicht, einem Beruf nachzugehen. Zweitens: Zudem gibt es laut Weltgesundheitsorganisation WHO eine Definition für ¿strenge Armut¿. Demnach gilt als arm, dessen Einkommen unter 40 Prozent des Durchschnittseinkommens liegt. Die LIGA nimmt in ihrem Berichtsteil die WHO-Definition zur Grundlage und sagt, dieses Kriterium wird durch Arbeitslosengeld II und Sozialgeld erfüllt. Für Sachsen-Anhalt würde dies (laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit für September 2007) bedeuten, dass 17,8 Prozent der Menschen von 15 bis 65 Jahren von ALG II und 4,4 Prozent von Sozialgeld leben, das heißt von Armut betroffen sind. Rund 32,6 Prozent der Kinder unter 15 Jahren leben in Familien, die auf Arbeitslosengeld II und Sozialgeld angewiesen sind. Impressum: Ministerium für Gesundheit und Soziales Pressestelle Turmschanzenstraße 25 39114 Magdeburg Tel: (0391) 567-4607 Fax: (0391) 567-4622 Mail: ms-presse@ms.sachsen-anhalt.de

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