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Magdeburg, den 29.01.2015

?Teilhabe für alle? Regierungserklärung von Norbert Bischoff, Minister für Arbeit und Soziales?, gehalten in der Sitzung des Landtages am 29. Januar 2015

v:* {behavior:url(#default#VML);} o:* {behavior:url(#default#VML);} w:* {behavior:url(#default#VML);} .shape {behavior:url(#default#VML);} ES GILT DAS GESPROCHENE WORT!   Die Schwerpunkte der sozialpolitischen Diskussion bewegten sich in den vergangenen Jahren innerhalb der Schlagworte Demografie und Inklusion. Der Ausspruch ?Vielfalt tut gut? akzeptiert, dass Menschen unterschiedlich sind und mit ihren unterschiedlichen Möglichkeiten das Leben der Gesellschaft prägen und bereichern. Der Satz ?Es ist normal unterschiedlich zu sein?, bringt diesen Gedanken auf den Punkt. Dann ist es nicht wichtig, alt oder jung, Frau oder Mann, behindert oder nicht behindert zu sein. Weil jeder Mensch das in die Gesellschaft einbringt, was er kann und wozu er in der Lage ist. Was aber benötigt eine Gesellschaft, damit sich Menschen mit ihrer Unterschiedlichkeit engagieren und beteiligen können? Brauchen wir immer neue Hilfesysteme, um Benachteiligungen und Behinderungen auszugleichen? Können wir in Zukunft auf isolierte ?Spezialangebote? und ?Spezialeinrichtungen? verzichten, weil wir eine Infrastruktur schaffen, die für viele nutzbar ist? Und können daran dann wenige besondere Angebote anknüpfen, die wieder aufgegeben werden, wenn sie nicht mehr gebraucht werden? Aber auch für Menschen mit Beeinträchtigungen stellt der von mir verfolgte menschenrechtliche Ansatz der Teilhabe eine Herausforderung dar. Sie sind Teil der Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens und haben nun im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Chance,  Selbstbestimmung anzunehmen und auszuüben. In meiner Regierungserklärung geht es nicht in erster Linie um verschiedene Schwerpunkte im Bereich des Sozialministeriums und auch nicht um eine Bestandsaufnahme politischen Handelns. Das Thema dieser Regierungserklärung ist mehr in die Zukunft gerichtet.  Ich möchte Ihnen meine konkreten Gedanken zur Teilhabepolitik der Landesregierung näher bringen anhand von vier Thesen. Diese vier Thesen lauten:  1.        ?Teilhabe für alle? ist in allen Lebensbereichen und in allen politischen Aufgabenfeldern möglich, wir müssen aber dazu bereit sein! 2.       ?Teilhabe für alle? ist auch unter den Bedingungen des demografischen Wandels möglich! 3.       ?Teilhabe für alle? erfordert nicht zwingend mehr Geld, aber sicher neue Konzepte! 4.       ?Teilhabe für alle? ist von großem Nutzen für alle und eine Aufgabe für alle! Zu These 1: ?Teilhabe für alle? ist in allen Lebensbereichen und in allen politischen Aufgabenfeldern möglich, wir müssen nur dazu bereit sein! Teilhabepolitik betrifft alle Menschen. Ihren Ursprung aber findet sie in der Politik für Menschen mit Behinderungen. Die Aufnahme des Benachteiligungsverbots ins Grundgesetz setzte im Jahr 1994 einen Paradigmenwechsel in Gang, der auch auf Ebene der Gesetzgebung noch keineswegs vollendet ist. Im Zentrum der Politik für Menschen mit Behinderungen steht seitdem nicht mehr der Begriff der Fürsorge, sondern die Verwirklichung eines selbstbestimmten Lebens in einer offenen Gesellschaft. Starke neue Impulse zur Verwirklichung von Gleichstellung, Selbstbestimmung und Teilhabe gibt das im Jahre 2009 in Deutschland in Kraft getretene ?Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen? ? kurz ?Behindertenrechtskonvention?. Die Behindertenrechtskonvention geht in ihrem Ansatz weit über das bisherige Verständnis des Benachteiligungsverbots hinaus. Sie hat den Blick dafür geöffnet, dass Menschen mit körperlichen, geistigen oder mentalen Beeinträchtigungen nicht per se behindert sind. Behinderungen entstehen viel mehr erst im Zusammenwirken der Beeinträchtigungen mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren, die sie an einer gleichberechtigten Teilhabe in der Gesellschaft hindern. Zu diesen Barrieren zählt nicht nur die zu hohe Bordsteinkante, sondern beispielsweise auch der unnötig komplizierte Bedienungshinweis an Fahrkartenautomaten- und auch manch vorgefasste Meinung über eingeschränkte Fähigkeiten von Menschen mit Beeinträchtigungen. Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention und mit dem Beschluss des Nationalen Aktionsplans im Jahr 2011 hat die Bundesregierung die Inklusion in das Zentrum ihrer Bemühungen gestellt. Kritisch hat die Bundesregierung dazu 2013 in ihrem Teilhabebericht festgestellt, dass nicht abschließend geklärt ist, unter welchen Bedingungen Teilhabe im Sinne von Inklusion möglich ist. Bund und Länder müssen nun die Faktoren herausarbeiten, die einerseits Teilhabechancen verhindern und andererseits Exklusionsrisiken bedingen. Auf dieser Grundlage müssen die Strukturen der Teilhabeleistungen fortentwickelt werden. So hat es auch die Arbeits- und Sozialministerkonferenz 2013 auf Antrag Sachsen-Anhalts einstimmig beschlossen. Eine zentrale Rolle werden in den kommenden Jahren die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe, die Umsetzung des neuen Bundesteilhabegesetzes und die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs einnehmen. Unter dem Motto ?Eingliederungshilfe reformieren ? Modernes Teilhaberecht entwickeln? wird in der Koalitionsvereinbarung des Bundes angekündigt, die gemeinsamen Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen für mehr Inklusion mit einem sicheren gesetzlichen Rahmen auszustatten. Die Bundesregierung erarbeitet daher ein Bundesteilhabegesetz für Menschen mit Behinderungen. Menschen, die aufgrund einer wesentlichen Behinderung nur eingeschränkte Möglichkeiten der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft haben, sollen aus dem bisherigen ?Fürsorgesystem? herausgeführt werden. Ziel ist, die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterzuentwickeln. Die Leistungen sollen sich am persönlichen Bedarf orientieren und personenbezogen ermittelt und bereitgestellt werden. Die Arbeiten zu einem neuen Bundesteilhabegesetz sollen in der laufenden Legislaturperiode abgeschlossen werden. Verbände und Länder sind in die Arbeitsgruppe auf Bundesebene unmittelbar eingebunden. Als eines von bislang zehn Bundesländern hat das Land Sachsen-Anhalt 2013 einen eigenen Landesaktionsplan zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention auf den Weg gebracht. Der Landesaktionsplan wird von allen Ressorts der Landesregierung umgesetzt. Er enthält unter anderem die folgenden Handlungsfelder: ·        - Barrierefreiheit, ·       - Kommunikation, ·        - Information und unabhängige Lebensführung, ·        - Bildung und lebenslanges Lernen, ·        - Arbeit und Beschäftigung, ·        - Gesundheit, ·       -  Rehabilitation und Pflege, ·        - Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben, ·        - Sport, Kultur und Tourismus Das Ministerium für Arbeit und Soziales übernimmt als staatliche Anlaufstelle die Koordination der ressortübergreifenden Maßnahmen. Zur langfristigen und strategischen Begleitung der Umsetzung und der Fortschreibung des Landesaktionsplans wurde ein Inklusionsausschuss eingerichtet. Der Landesaktionsplan enthält aktuell 164 teilhabepolitische Maßnahmen. Er ist zunächst auf eine Dauer von zehn Jahren angelegt und soll fortwährend evaluiert und fortgeschrieben werden. Einen aktuellen Schwerpunkt stellt die Überprüfung der Normen des Landes anhand der Vorgaben der Behindertenrechtskonvention dar. Darüber hinaus unterstützen wir die Kommunen bei der Erstellung von eigenen Aktionsplänen. Dieses Angebot wurde bereits von einigen Kommunen in Anspruch genommen. Eine konkrete Unterstützung der Landkreise und kreisfreien Städte ist auch im Rahmen der neuen Strukturfondsperiode vorgesehen. Aus Mitteln des ESF werden wir mit 18,75 Millionen Euro das örtliche Teilhabemanagement stärken.  Die Meilensteine der Teilhabepolitik der vergangenen Jahre haben bei den meisten von uns einen Bewusstseinswandel eingeleitet. Uns steht der Lackmustest allerdings noch bevor: Akzeptieren wir wirklich die Herausforderungen, die Inklusion an uns stellt? Wie begegnen wir einem autistischen Kollegen, der in seinem Aufgabengebiet vorbildliche Leistungen erbringt? Wie begegnen wir Eltern, die nicht akzeptieren, dass neben ihrem Kind ein gelähmter Schüler sitzt, der allein mit der Bewegung seiner Augen - unterstützt durch assistive Technik - kommuniziert?  Die Inklusionskompetenz von Politik und Gesellschaft entwickelt sich nach und nach. Voraussetzung ist, dass wir Inklusion in die Tat umsetzen und gute Beispiele bekannt machen. Dies geschieht auch mit einer jetzt vorgelegten Broschüre ?Sachsen-Anhalt auf dem Weg zur Inklusion?, die das Sozialministerium im Übrigen auch komplett  in Leichter Sprache veröffentlicht hat. Ich nenne gelungene Beispiele: Die wohnortnahe Betreuung behinderter Kinder in den Kinderkrippen, Kindergärten und Horten ist uns seit vielen Jahren ein Herzensanliegen. Wir verfügen bekanntlich über eine hervorragend ausgebaute Struktur der Kinderbetreuung in unserem Land. Die Zahl der integrativ betreuenden Kindertagesstätten ist von 187 im Jahr 2005 auf aktuell 346 Einrichtungen gewachsen. Gleichzeitig konnten wir mit den Trägern die integrativen Leistungen inhaltlich neu ausrichten und qualitativ verbessern. Ein weiteres wichtiges Handlungsfeld, die gemeinsame Beschulung, ist in diesem hohen Hause vielfach diskutiert worden. Ich möchte dazu nur anmerken, dass es uns inzwischen gelingt, auch Schülerinnen und Schülern mit schwersten und mehrfachen Behinderungen schulische Bildung zuteil werden zu lassen.  Der Landesaktionsplan widmet sich auch intensiv der weiterführenden und lebenslangen Bildung. Die Hochschulrektorenkonferenz des Landes hat im Jahr 2011 einen Beschluss zur Herstellung der Barrierefreiheit gefasst. Unsere Hochschulen stellen Nachteilsausgleiche zur Verfügung, die es auch Studentinnen und Studenten mit Beeinträchtigungen ermöglichen, zu studieren und Leistungsnachweise zu erbringen. Die berufliche Orientierung, die berufliche Ausbildung und die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt  sind Schwerpunkte unserer Bemühungen. Es ist leider immer noch so, dass manche Arbeitgeber die Potentiale von behinderten Arbeitnehmern nicht erkennen, vielleicht auch, weil Vorbehalte existieren. Diese abzubauen, ist ein langwieriger Prozess. Wir fördern die Teilhabe am Arbeitsleben mit der Umsetzung der sogenannten ?Initiative Inklusion?, mit dem Arbeitsmarktprogramm ?Arbeitsplätze für besonders betroffene schwerbehinderte Menschen?, mit dem Landesprojekt ?Unterstützung des Übergangs von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Werkstätten für Menschen mit Behinderung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt? und mit dem Werben für die Gründung von Integrationsprojekten. Zu These 2: ?Teilhabe für alle? ist auch unter den Bedingungen des demografischen Wandels möglich!  Die Bewältigung des demografischen Wandels betrifft die ostdeutschen Bundesländer ganz besonders. Wir müssen lernen, damit umzugehen und die Chancen, die sich daraus ergeben, zu sehen und zu nutzen. Dass wir älter werden, ist zudem eine Errungenschaft, die auf verbesserte Lebensbedingungen, weniger Umweltverschmutzung und die moderne Medizin zurückzuführen ist. Für immer mehr Menschen geht der Traum in Erfüllung, den Lebensabschnitt nach der Berufstätigkeit bei relativ guter Gesundheit noch viele Jahre aktiv gestalten zu können. Wenn Menschen das Wort Demografie hören, verbinden sie das mit Angst vor Verlusten. Im ländlichen Bereich spürt man das besonders deutlich. Viele fürchten das Wegbrechen wichtiger Strukturen vor Ort. Junge Menschen ziehen weg, Ältere bleiben. Häuser verwahrlosen und das dörfliche Leben erlahmt. Man kann das so sehen und mit den Schultern zucken. Man kann aber auch vor Ort überlegen, welche Formen des Zusammenlebens erhalten werden können, weil die Bewohner selbst ein Interesse daran haben, im ländlichen Bereich zu leben. In vielen Fällen ist es vielleicht nicht möglich, einen festen Lebensmittelladen wirtschaftlich zu betreiben oder den Bus regelmäßig überall halten zu lassen. Aber: Man kann die Bereitstellung öffentlicher Infrastruktur mit individuellen oder gemeinschaftlich getragenen Initiativen sinnvoll verknüpfen. Unterstützen, moderieren und auch honorieren sollten wir daher beispielsweise, ·        - wenn sich Menschen  zusammenfinden, um etwa den Schülerverkehr  zur nächstgelegenen Haltestelle selbst zu organisieren, ·       - wenn Kirchengemeinden im Ort ihre Kirche nicht nur für gottesdienstliche Zwecke selbst nutzen, sondern sie auch für andere Veranstaltungen öffnen, denn das schafft neue Möglichkeiten für ein Miteinander, ·        - wenn sich Arztpraxen zusammenschließen und unterschiedliche Fachärzte an bestimmten Tagen tätig werden. Denn so erschließen sich völlig neue Qualitäten. Jeder von uns kennt zur Genüge die Darstellung der demografischen Entwicklung: In Sachsen-Anhalt wird in den kommenden zehn Jahren die Bevölkerung auf unter zwei Millionen Einwohner schrumpfen und der Anteil an Erwerbsfähigen auf knapp 54 Prozent gefallen sein. In der Folge werden wir uns großen Herausforderungen stellen und dabei die Chancen einer umfassenden Teilhabepolitik nutzen müssen:  Es wird darauf ankommen, das Arbeitskräftepotential bei einer alternden Bevölkerung zu erhalten. Die Förderung der  Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen gehört unbedingt dazu. Mit Blick auf die dünne Besiedelung in den ländlichen Regionen und die Alterung der Bevölkerung sind Erhalt und Investitionen in die Infrastruktur nur dann nachhaltig, wenn die Nutzbarkeit für alle sichergestellt ist. Getrennte Infrastrukturen für unterschiedliche Generationen, Bevölkerungs- und Zielgruppen sind weder finanzierbar noch wirtschaftlich. Konkret heißt dies zum Beispiel: ·       - Der Erhalt der Wohninfrastruktur ist nur unter Beachtung der Barrierefreiheit und der Nutzbarkeit für alle sinnvoll. Unsere Verkehrsinfrastruktur muss nicht nur äußerst flexibel, sondern zwingend auch barrierefrei ausgestaltet sein, damit sie von Kindern, Senioren und Menschen mit Beeinträchtigungen genutzt werden kann. ·        - Unsere Bildungsangebote müssen universell nutzbar sein. Dies gilt für alle Angebote von der frühkindlichen Bildung bis zum lebenslangen Lernen. ·        - Arbeitsstätten und Arbeitsplätze müssen barrierefrei ausgestaltet und betriebliches Eingliederungs- und Gesundheitsmanagement zum Repertoire der Arbeitgeber gehören. ·        - Die Angebote der Gesundheitswirtschaft und der Rehabilitation müssen nicht nur barrierefrei zugänglich, sondern auch inhaltlich auf die Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen vorbereitet sein. ·        - Unsere Infrastrukturen für Freizeit, Kultur und Sport müssen offen sein für alle Generationen und Menschen mit Beeinträchtigungen. ·      - Die Partizipation aller an den politischen Entscheidungsprozessen muss gewährleistet sein. Beispielweise müssen auch Kommunalparlamente für mobilitätseingeschränkte Menschen zugänglich sein. Ich bin guten Mutes, dass wir diese Herausforderungen meistern können, denn wir haben gute Voraussetzungen, um einer Teilhabe für alle auch unter den Bedingungen des demografischen Wandels gerecht zu werden. Wir verfügen in Sachsen-Anhalt über ein dichtes Netz an Angeboten der Teilhabe und Rehabilitation. Auf diesen Punkt möchte ich etwas näher eingehen. Man kann sagen: In den 1990er Jahren haben wir ?Teilhabe in Beton gegossen?. Wir haben Krankenhäuser, Pflegeheime, Behinderteneinrichtungen und andere Gebäude in großer Zahl gebaut. Diese Einrichtungen dienen der Sicherstellung von Teilhabe und Rehabilitation in unserem dünn besiedelten Flächenland. Sie werden sich aber weiterentwickeln und für den Sozialraum öffnen müssen. Sie werden auch bei der Überwindung von Sektorengrenzen mitwirken müssen. Dazu bieten wir Unterstützung an. Zu These 3: ?Teilhabe für alle? erfordert nicht zwingend deutlich mehr Geld, aber sicher neue Konzepte! Die Verwirklichung des menschenrechtlichen Ansatzes der Teilhabe setzt eine übergreifende sozial- und gesellschaftspolitische Strategie voraus. Bedingung für das Gelingen einer ressortübergreifenden, menschenrechtsorientierten Teilhabestrategie ist die Überwindung von Ressortegoismen. Nur so kann Teilhabe verwirklicht werden. Welchen Sinn soll es machen, dass sich einerseits das Kultusministerium bemüht, die Schulen im ländlichen Raum bei rückläufigen Schülerzahlen aufrecht zu erhalten, andererseits eine Landvolkshochschule ein eigenes Domizil mit staatlichen Mitteln saniert und aufrechterhält? Und was, wenn beide Einrichtungen gleichermaßen schwach ausgelastet sind, während dem Gemeinderat im dritten Stock eines denkmalgeschützten, aber für die überwiegende Zahl der betagten Gemeinderäte nur unter äußersten Schwierigkeiten zu erreichenden Versammlungsortes nichts Besseres einfällt, als Mittel für den Neubau einer Kindertagesstätte zu beantragen, die zu allem Überfluss weder barrierefrei zugänglich noch universell nutzbar ist? Ist es wirklich sinnvoll, die Sportstätte am Rand der Stadt den jungen und mittelalten Fußballern anzudienen, während die gesundheitsbewussten älteren Damen und der Rehasport erfolglos nach einer Heimstätte fahnden? Ein Beispiel dafür, wie es gelingen kann, soziale Angebote für alle zugänglich zu machen und besondere Angebote für besondere Personengruppen in diesen Rahmen zu integrieren, ist das im vergangenen Jahr novellierte Landesgesetz zur Familienförderung und zur Förderung sozialer Beratungsangebote. Auf Vorschlag der Wohlfahrtsverbände hat der Landtag hier die Grundlage dafür gelegt, dass aus einer spezialisierten und verschachtelten Beratungslandschaft das flächendeckende Angebot einer integrierten psychosozialen Beratung für alle Ratsuchenden entsteht. Teilhabe für alle ist möglich! Ich möchte Sie daher bitten, mitzuarbeiten an der Verwirklichung einer universellen Teilhabestrategie für unser Land. Zu These 4: ?Teilhabe für alle? ist von großem Nutzen für alle und eine Herausforderung für alle! Wir alle sind auf eine soziale Infrastruktur angewiesen, die uns die Erfüllung von Grundbedürfnissen ermöglicht. Sei es in den Bereichen Wohnung, Ernährung, Gesundheit oder Bildung. Dafür gibt es Rahmenbedingungen, die wirtschaftliches Handeln und Daseinsfürsorge ermöglichen. Soziale Sicherungssysteme stellen ein Mindestmaß an Dienstleistungen und materiellen Ressourcen zur Verfügung, um menschenwürdig zu leben und am gesellschaftlich kulturellen Leben teilhaben zu können. Stärker als bisher wird bei der Bereitstellung von Angeboten danach gefragt, ob diese für möglichst viele Bürgerinnen und Bürger genutzt werden können. Ob sich die jeweilige Struktur oder das jeweilige Angebot sowohl an Jüngere wie an Ältere richtet, ob es gleichermaßen Frauen und Männer erreicht und ob Menschen mit Einschränkungen und Handicaps daran teilhaben können. Und nur, wenn die jeweilige Maßnahme viele Menschen erreicht und nicht nur eine bestimmte Gruppe, darf sie in weitere Überlegungen einbezogen werden. Dazu möchte ich einige Beispiele für gelungene Inklusion in diesem Sinne nennen: Barrierefreie Bahnsteige oder Straßen mit abgesenkten Bordsteinkanten werden nicht nur von Rollstuhlfahrern und Gehbehinderten genutzt, sondern genauso von Fahrradfahrern, Eltern mit Kinderwagen und Reisenden mit Rollkoffern. Der Rollkoffer an sich ist übrigens schon ein Beispiel für den inklusiven Gedanken. War er vor Jahren noch eine Begleiterscheinung älterer Menschen, greifen heute sogar Schüler und Studenten zum zwei- oder vierrädrigen Begleiter. Ein weiteres Beispiel sind die auch von uns vielfach benutzten Fahrstühle, Rolltreppen und Laufbänder. Sie sind nutzbar für alle. Auch die Arbeitswelt profitiert zunehmend vom inklusiven Gedanken. In der Produktion wird auf Assistenzsysteme gesetzt, die nicht nur den älteren Mitarbeitern mit körperlichen Einschränkungen die Arbeit erleichtern, sondern schon bei der jungen Generation zu einer Entlastung führen. Sie bleiben somit länger fit und damit einsatzbereit.   Als weiteres Beispiel möchte ich den Wohnungsbau nennen. Wenn schon in der Planungsphase Häuser und Wohnungen so gestaltet werden, dass sie für Familien genauso nutzbar sind wie für ältere Menschen, ermöglicht dies einen Mehrgenerationenansatz und man kann auf spätere Umbauten für beispielsweise Fahrstühle verzichten. Damit ermöglicht man älteren Menschen auch im Pflegefall lange bei der Familie zu bleiben, oder in Alten-WGs in vertrauter Umgebung und familiennah betreut zu werden. Die skizzierten Veränderung brauchen Zeit und Vertrauen. Aufgrund der demografischen Entwicklung und der stärkeren beruflichen Mobilität verändert sich auch unser Zusammenleben. Die Kinder gehen dorthin, wo sie sich beruflich besser entfalten können. Die Welt wird für sie kleiner und nicht wenige werden temporär in anderen Ländern Fuß fassen und Wurzeln schlagen. Junge Menschen aus anderen Ländern werden bei uns heimisch werden, weil sie die Möglichkeiten einer hochmodernen und innovativen Wirtschaft nutzen. Diese zunehmende Bereitschaft zur Mobilität ist für uns eine Chance, denn ohne Zuwanderung von Fachkräften und solchen, die es werden wollen, können wir unseren wachsenden Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften nicht sichern. Diese Veränderungen verursachen auf der einen Seite Unsicherheiten auf der einen Unternehmungslust. Für viele jüngere Menschen sind die neuen Möglichkeiten echte Herausforderungen, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, während gerade die Älteren Angst haben, Halt und Orientierung zu verlieren. Beides müssen wir im Blick behalten und vor allen Dingen: Wir müssen die Menschen mitnehmen in diesen Prozessen, sie beteiligen und ihnen auch zutrauen, neue Wege zu gehen.  Wir Politiker und Politikerinnen brauchen vor allem den Blick auf alle. Dass Menschen bei Ängsten und Problemen meist zuerst sich selbst sehen und für sich selber kämpfen, ist verständlich. Das sehen wir auch an den Protestaktionen der vergangenen Wochen. Unsere Unterstützung brauchen die, die keine Lobby haben. Und unser entschiedener Protest muss denen gelten, die vermeintliche oder tatsächliche eigene Benachteiligungen und Ängste denen anlasten, deren Leben auf dem Spiel steht und daher als Flüchtling oder Asylbewerber zu uns kommen. Wir dürfen dabei nicht den Eindruck vermitteln, dass wir uns vor realen Problemen wegducken. Wir müssen da sein, wo die Fragen und Ängste entstehen, wir müssen umfassend informieren und Menschen einbeziehen. Wir müssen auch dann präsent sein und Haltung zeigen, wenn es konflikthaft wird, etwa wenn ein Flüchtlingsheim neu eingerichtet wird oder wenn es zu Konflikten im Wohngebiet, in den Schulen oder andernorts kommt. ?Teilhabe für alle? ist ein Maßstab, mit dem unsere Angebote für alle Menschen und Bevölkerungsgruppen zu messen sind. Der Anspruch, allen Menschen Teilhabechancen zu eröffnen und ihnen möglichst gleichberechtigt Zugang zu öffentlichen Diensten und Leistungen zu ermöglichen, gilt daher auch für die Menschen, die zu uns kommen und Schutz vor Verfolgung, Krieg, Ausgrenzung und Diskriminierung suchen. Unabhängig davon, ob er oder sie schließlich eine Aufenthaltsperspektive in Deutschland erhält, hat jeder Mensch das Recht, als Mensch bei uns offen und in Würde aufgenommen zu werden und dass die vorgetragenen Schutzgründe ernsthaft und unvoreingenommen geprüft werden. Je früher wir schutzsuchenden Menschen die Möglichkeit zum Erwerb der deutschen Sprache, zu Qualifizierung, Anerkennung von Abschlüssen und damit den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen, umso schneller können sie ihr Leben selbständig gestalten und unabhängig von sozialen Leistungen werden. Sprachkurse sind dabei in mehrfacher Hinsicht Zukunftsinvestitionen: Es sind Investitionen in die Potentiale der zu uns kommenden Menschen, in gelingende interkulturelle Begegnung zwischen Einheimischen und Zugewanderten und es ist eine Investition in ein Bild von einem weltoffenen Deutschland, das die so Aufgenommenen in die Welt hinaustragen. Frühzeitige Integration in Arbeit und Gesellschaft entlastet aber auch Bund, Länder und Kommunen und trägt schließlich dazu bei, die Aufnahmebereitschaft in unserer Gesellschaft zu erhöhen. Gelungene Integration von Flüchtlingen und Zuwandernden ist daher die beste Prävention von Ausländerfeindlichkeit. Jenen, die sich um den Zustand der christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur sorgen, sei gesagt: Mitmenschlichkeit bedeutet, den Menschen, die hier Heimat und Schutz suchen, mit offenen Herzen zu begegnen. Ressentiments und Parolen, die die Religionsfreiheit, das Asylrecht und den Minderheitenschutz in Frage stellen, erteilen wir eine klare Absage. Wir Demokratinnen und Demokraten stehen für eine offene Gesellschaft, deren Mitglieder gleich an Würde und Rechten sind und die allen Menschen Chancen auf Teilhabe eröffnet. Wenn Menschen in ihrer Not hier bei uns Heimat und Schutz erfahren, wenn sie unsere Sprache lernen und hier arbeiten können, dann werden sie in ihren jeweiligen Ländern berichten, dass Deutschland ein tolles Land ist, mit freundlichen Menschen, mit einer wunderschönen Kultur, einer reizvollen Landschaft. Wenn Deutschland so wahrgenommen werden könnte in der Welt, wird es die Wirtschaft leichter haben zu exportieren, wir werden uns auf unseren Reisen wohl fühlen, weil wir Anerkennung erfahren und wir könnten dann zurecht stolz sein, in einem weltoffenen Land leben zu dürfen. Nur Mut ? für die Teilhabe aller Menschen in einer offenen Gesellschaft! 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