Pressemitteilung: 447/2021
Magdeburg, den 08.10.2021

Bilanzrede von Bundesratspräsident Dr. Reiner Haseloff am 8. Oktober 2021 im Bundesrat

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Zeit flieht. In wenigen Wochen endet die Bundesratspräsidentschaft Sachsen-Anhalts. Die Präsidentschaft war mir Ehre und Verpflichtung zugleich. Und eine große Freude. Ich möchte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesratsverwaltung herzlich danken. Sie waren ein tolles Team und haben mir die Arbeit sehr erleichtert. Dabei war es in mehrfacher Hinsicht ein ungewöhnliches und sehr intensives Jahr. Vor allem die Corona-Pandemie hat die zurückliegenden Monate geprägt und unsere Arbeit stark beeinflusst. Mehrfach trafen wir uns deshalb zu Sondersitzungen. 

Mittlerweile haben wir gelernt, mit der Pandemie zu leben und sie gleichzeitig zurückzudrängen. Dennoch müssen wir weiter vorsichtig und umsichtig bleiben. Die allermeisten Menschen in unserem Land haben sich sehr verantwortungsbewusst und rücksichtsvoll verhalten, weder sich noch ihre Mitmenschen gefährdet und großes Verständnis für die getroffenen und mitunter schmerzhaften Maßnahmen gezeigt. Die überwältigende Mehrheit unserer Bevölkerung hat durch konkrete Handlungen eine beeindruckende Solidarität bewiesen. Dafür danke ich allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ganz herzlich. Einen ganz besonderen Dank möchte ich an alle im Gesundheitswesen Beschäftigten richten. Ohne ihre Einsatzbereitschaft, ohne ihre Umsicht und ohne ihr Pflichtgefühl hätte die Pandemie nicht so erfolgreich eingedämmt werden können.  

Auch die Hochwasserkatastrophe im Sommer hat unser Land vor große Herausforderungen gestellt. In einer Sondersitzung im September haben wir wenige Tage nach dem Bundestag den Hilfsfonds für die Geschädigten der Flutkatastrophe gebilligt und dem Aufbauhilfegesetz 2021 zugestimmt. Viele Betroffene haben das als ein hoffnungsvolles und ermutigendes Signal verstanden. Und genau das sollte es auch sein. Bund und Länder haben gemeinsam schnell und effizient gehandelt. Unsere politischen Strukturen sind krisentauglich.

Der Föderalismus ist aber mehr als nur ein Ordnungsprinzip. Er ist einer der zentralen Bausteine unserer Demokratie. Denn er stellt auch einen wirksamen Schutz vor einer Gefährdung der Demokratie durch einseitige Machtausübung dar. Freiheit ist ein Wesenskern des Föderalismus. Zentralisierung hingegen, so hat es einmal Thomas Nipperdey formuliert, bedeutet „die Erfahrung von Anonymität, Entfremdung, Heimatlosigkeit, Identitätsverlust, Instabilität, Nicht-Funktionieren“.

Aber unsere Freiheit und unser föderales System sind keine Selbstläufer. Wir beobachten in letzter Zeit einen schwindenden Respekt gegenüber demokratischen Normen und Institutionen. Zudem erleben wir eine Verrohung der politischen und gesellschaftlichen Sitten. Rassismus und Diskriminierung sind zu einem ernsthaften Problem geworden. Die Schwelle zur Gewaltbereitschaft nimmt immer mehr ab.  Ein 20-Jähriger weist auf die Maskenpflicht hin und wird erschossen. Und in den sozialen Netzwerken wird dieser entsetzliche Mord auch noch von manchen hämisch kommentiert

Was läuft in Teilen unserer Gesellschaft schief? Wie dünn ist der Firnis unserer Zivilisation eigentlich? Zur Tagesordnung können wir jetzt keinesfalls übergehen. Denn für unser Gemeinwesen sind wir alle verantwortlich. Der US-amerikanische Soziologe Amitai Etzioni prägte 1996 den Begriff der „Verantwortungsgesellschaft“. Sie verlangt vom Einzelnen nicht nur mehr Verantwortung für sich selbst, sondern auch für die Allgemeinheit. Wir alle müssen für eine offene Gesellschaft eintreten. Jeden Tag aufs Neue und mit großer Entschiedenheit. Zivilcourage ist gefragt. Hass und Hetze dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Es muss vielmehr ein Klima der Toleranz und des gegenseitigen Respekts herrschen. Nur dann können Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen in Frieden miteinander leben.

Auf dieser Grundlage wollen wir weiter gemeinsam Zukunft formen. Das Motto unserer Bundesratspräsidentschaft gilt über den Tag hinaus. Dabei verfügen wir über gute Gestaltungsmöglichkeiten und Perspektiven. Unser Land ist pluralistisch, weltoffen und für die Herausforderungen der Zukunft gut aufgestellt. Das haben auch die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit am letzten Wochenende in Halle (Saale) gezeigt. Neu waren in diesem Jahr die 32 Einheitsbotschafterinnen und -botschafter. Gemeinsam repräsentierten sie die großen Stärken unseres Föderalismus: die Vielfalt in der Einheit.

In meine Amtszeit fiel auch die 1000. Sitzung des Bundesrates. Unsere Demokratie lebt auch von starken und selbstbewussten Institutionen. Zu ihnen gehört seit mehr als sieben Jahrzehnten der Bundesrat. Der Bundespräsident hat in seiner Ansprache zu Recht darauf hingewiesen. Die Bedeutung des Bundesrates und seine Rolle in der innerstaatlichen Willensbildung und im System der Gewaltenteilung sind anerkannt und unbestritten. Der Föderalismus in unserem Land ist zu einer lebendigen und selbstverständlichen Realität geworden. Das föderale Prinzip hat sehr viel zur Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland beigetragen, und diese Erfolgsgeschichte wollen wir weiter fortschreiben. Denn das Projekt des demokratischen Verfassungsstaates ist nie abgeschlossen. Auch der Föderalismus kennt als dynamisches System keine Finalität. Er musste sich in der Vergangenheit wechselnden Gegebenheiten anpassen, und er wird es auch zukünftig tun müssen.

Auch die Geschichte der europäischen Integration ist seit ihren Anfängen von föderalen Ideen geprägt. Und mehr denn je gilt: Nur eine starke und handlungsfähige EU kann den globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden und ihre Werte sowie Interessen international wirksam vertreten. Nur gemeinsam erhalten wir unsere Handlungsfähigkeit. Deshalb sind die internationalen Kontakte während einer Bundesratspräsidentschaft enorm wichtig. Gestern Abend bin ich aus Rom zurückgekehrt. Dort war ich zur Eröffnung der 7. Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Parlamente der G20-Staaten. Coronabedingt sind meine Auslandsreisen als Bundesratspräsident allerdings überschaubar geblieben.

Ich hoffe, dass unter Ihrer Präsidentschaft, lieber Herr Ramelow, wieder mehr Normalität einkehrt und wir die Pandemie mehr und mehr überwinden. Ich wünsche Ihnen in Ihrem neuen Amt, das Sie ab 1. November übernehmen, alles Gute und viel Erfolg.

 

 

 

 

 

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