Pressemitteilung: 278/2025
Magdeburg, den 24.06.2025

Innenministerin stellt Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2024 vor

Sachsen-Anhalts Innenministerin Dr. Tamara Zieschang hat heute gemeinsam mit dem Leiter der Abteilung Verfassungsschutz, Jochen Hollmann, den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2024 vorgestellt. Darin wird insbesondere auf folgende Aspekte hingewiesen:

  1. Die Zahl der Personen, die verfassungsfeindlichen Personenzusammenschlüssen zuzurechnen sind, ist im Jahr 2024 auf rund 6.120 Personen angestiegen. Dies entspricht einem Zuwachs von 11,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr(2023: 5.480 Personen). Das extremistische Personenpotenzial hat damit einen neuen Höchststand erreicht. Diese Entwicklung ist auf ein dynamisches Wachstum der rechtsextremistischen Szene in Sachsen-Anhalt zurückzuführen. Die Zahl der Rechtsextremisten lag im Jahr 2024 bei rund 4.000 Personen (2023: 3.350 Personen); dies entspricht einem Anstieg von 19,4 Prozent. Gründe für die Zunahme des rechtsextremistischen Personenpotenzials waren insbesondere der Mitgliederzuwachs des AfD-Landesverbands Sachsen-Anhalt (+ 370 Personen) und der Anstieg des weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials (+ 140 Personen).
  2. Extremistische Gruppierungen konnten zuletzt insbesondere unter Jugendlichen und jungen Heranwachsenden Rekrutierungserfolge erzielen. Im Jahr 2024 sind sowohl in Sachsen-Anhalt als auch bundesweit rechtsextremistische Kleingruppen mit sehr jungen, aktionsorientierten und internetaffinen Personen in Erscheinung getreten, die insbesondere gegen die LGBTQ-Szene und politisch Andersdenkende agitieren. Durch gezielte Nutzung der Medienaffinität junger Menschen versuchen auch Islamisten in zunehmendem Maße, Minderjährige und junge Heranwachsende mit jihadistischer Propaganda im digitalen Raum anzusprechen. Auch im Linksextremismus und auslandsbezogenen Extremismus konnten gewaltorientierte Gruppen verstärkt Jugendliche an sich binden. Es steht zu befürchten, dass in der Folge dieser Entwicklungen gewalttätige Auseinandersetzungen insbesondere zwischen links- und rechtsextremistischen Jugendgruppen sowie von diesen Akteuren ausgehende Angriffe auf politisch Andersdenkende zukünftig zunehmen werden.
  3. Der Verfassungsschutz stellte erneut Versuche aus dem Ausland fest, mittels Cyberangriffen, Sabotage und Desinformationskampagnen das Vertrauen der Bevölkerung in staatliche Prozesse zu untergraben. Um Desinformation zu verbreiten, setzen insbesondere von Russland aus operierende Akteure zunehmend auf gefälschte bzw. technisch manipulierte Inhalte.

Innenministerin Dr. Tamara Zieschang: „In Sachsen-Anhalt geht die größte Bedrohung für unser demokratisches Zusammenleben weiterhin vom Rechtsextremismus aus. Dieser nimmt bei Jüngeren zu und agiert digitaler – seine rassistische und demokratiefeindliche Ideologie bleibt aber dieselbe. Mit Sorge blicke ich auf den Zuwachs gewaltaffiner rechtsextremistischer Jugendgruppen. Und auch andere extremistische Ideologien, insbesondere der Islamismus, üben eine zunehmende Anziehungskraft auf junge Menschen aus. Es besteht die Gefahr, dass sich eine neue extremistische Jugendkultur herausbildet. Wir alle – Staat und Gesellschaft, Schulen und Eltern – sind gefordert, eine solche Entwicklung zu verhindern. Der Verfassungsschutz leistet zu diesem Zweck wichtige Aufklärungsarbeit.“

Jochen Hollmann, Leiter des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt: „Im vergangenen Jahr war der Verfassungsschutz erneut stark gefordert. Nie zuvor war das extremistische Personenpotenzial in Sachsen-Anhalt so hoch wie im Jahr 2024. Seit 2022 hat es sich nahezu verdoppelt. Besonders dynamisch hat sich in den vergangenen Jahren die rechtsextremistische Szene im Land entwickelt. Die größte Gefahr für die Demokratie geht hier von der größten rechtsextremistischen Partei, der AfD in Sachsen-Anhalt, aus. Hinzu kommen die hybriden Bedrohungen von außen. Im Bereich der Spionage- und Cyberabwehr sind wir mit technisch immer ausgefeilteren Einflussnahmeoperationen konfrontiert, die auf eine Destabilisierung unserer Gesellschaft aus sind. Wir stehen in einem ständigen Informationsaustausch mit anderen Sicherheitsbehörden, um an der Abwehr ausländischer Einflussnahmeaktivitäten mitzuwirken.“

Zu den Phänomenbereichen im Einzelnen:

Weiterer Anstieg des Rechtsextremismus

Das rechtsextremistische Personenpotenzial ist von rund 3.350 Personen im Jahr 2023 auf rund 4.000 Personen im Jahr 2024 angestiegen. Der größte Zuwachs war im parteigebundenen Rechtsextremismus festzustellen. Im Jahr 2024 waren in Sachsen-Anhalt insgesamt 2.750 (2023: 2.345) Personen in rechtsextremistischen Parteien organisiert: Während die Mitgliederzahl der Partei „Die Heimat“ (ehemals NPD) im Vergleich zum Vorjahr unverändert blieb (70 Personen), konnten der Landesverband Sachsen-Anhalt der AfD (2.580 Personen; 2023: 2.210) und die Kleinstpartei „Der III. Weg“ (100 Personen; 2023: 60) die Zahl ihrer Mitglieder deutlich erhöhen. Anders als die AfD sind „Der III. Weg“ und „Die Heimat“ in Sachsen-Anhalt politisch nahezu bedeutungslos.

Der bereits in den Vorjahren festgestellte Bedeutungszuwachs des weitgehend unstrukturierten Teils der rechtsextremistischen Szene hat sich im Jahr 2024 fortgesetzt. Das Personenpotenzial dieses Spektrums, dessen Anhänger nicht oder nur lose in örtlich aktiven Strukturen organisiert sind, ist auf 1.110 Personen (2023: 970) angestiegen. Zu diesem Teil der rechtsextremistischen Szene rechnet der Verfassungsschutz eine Reihe von aktionsorientierten Jugendgruppen, die seit dem vergangenen Jahr vermehrt in Erscheinung treten. Diese vornehmlich virtuell vernetzten Personenzusammenschlüsse tragen Bezeichnungen wie „Jung & Stark“, „Deutsche Jugend Voran“ oder „Deutsche Jugend Zuerst“. Seit dem Sommer 2024 sind sie sowohl in Sachsen-Anhalt als auch bundesweit mit Gewalt- und Störaufrufen sowie Aktionen gegen CSD-Veranstaltungen aufgefallen.

Eine Zunahme des Personenpotenzials beobachtete der Verfassungsschutz auch in dem parteiungebundenen, vornehmlich neonazistisch geprägten Spektrum der rechtsextremistischen Szene: Wurden diesem Spektrum 2023 noch rund 250 Personen zugerechnet, waren es im Jahr 2024 rund 290 Personen. Eine Schwerpunktregion in Sachsen-Anhalt bildet weiterhin der Landkreis Harz. Die dort aktive neonazistische Szene konnte ihre öffentliche Präsenz insbesondere im Raum Halberstadt verstärken und ihren Einfluss innerhalb der rechtsextremistischen Szene Sachsen-Anhalts weiter ausbauen.

Zahl der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ stagniert

Der in den Vorjahren vom Verfassungsschutz beobachtete Zuwachs der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene in Sachsen-Anhalt hat sich nicht fortgesetzt. Im Jahr 2024 rechnete der Verfassungsschutz diesem Phänomenbereich unverändert rund 700 Personen zu. Knapp ein Drittel dieses Personenpotenzials war in Gruppierungen wie „Königreich Deutschland“ (KRD) oder „Vaterländischer Hilfsdienst“ organisiert. Bei den übrigen Szeneangehörigen handelt es sich in der Regel um Einzelpersonen.

Das im Mai 2025 vom Bundesministerium des Innern verbotene KRD hatte aufgrund staatlicher Exekutivmaßnahmen im Jahr 2024 in Sachsen-Anhalt keine Aktivitäten mehr entfaltet. Verfassungsfeindlich agierten Einzelpersonen, die mit kruden Schreiben und Drohungen staatliche Institutionen verunglimpften.

Schwindende Mobilisierungsfähigkeit im Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“

Die Relevanz des Beobachtungsobjekts „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ hat im Jahr 2024 weiter abgenommen. Das Personenpotenzial ist von rund 100 Personen im Jahr 2023 auf etwa 90 Personen im Jahr 2024 gesunken. Szeneakteure, die in den Vorjahren noch der Delegitimiererszene zuzurechnen waren, sind zum Teil zum Rechtsextremismus und zur Reichsbürgerszene gewandert.

Linksextremistisches Personenpotential unverändert

Das linksextremistische Personenpotenzial in Sachsen-Anhalt blieb im Jahr 2024 mit rund 680 Personen im Vergleich zum Vorjahr unverändert. Das nicht gewaltorientierte Spektrum bildete mit rund 385 Personen erneut den größten Teil der linksextremistischen Szene. Dem gewaltorientierten Spektrum hat der Verfassungsschutz wie im Vorjahr rund 295 Personen zugerechnet.

Der Verfassungsschutz beobachtet einen Strukturwandel innerhalb der gewaltorientierten linksextremistischen Szene Sachsen-Anhalts. Vor dem Hintergrund des fortdauernden Nahostkonflikts zeichnet sich vor allem unter jungen Szeneanhängern eine Renaissance des antiimperialistisch ausgerichteten Linksextremismus ab, der israelfeindliche Propaganda verbreitet und dabei häufig Diskursmuster des israelbezogenen Antisemitismus transportiert. Das proisraelische Spektrum der linksextremistischen Szene, dessen Schwerpunkt in der Stadt Halle (Saale) liegt, wird dabei zunehmend verdrängt.

Darüber hinaus deutet sich im Linksextremismus eine Zunahme der Gewaltbereitschaft in der Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern an.

Konstantes Personenpotenzial in den Phänomenbereichen Islamismus und Auslandsbezogener Extremismus

Das islamistische Personenpotenzial lag im Jahr 2024 unverändert bei rund 400 Personen. Wie bereits im Vorjahr rechnet der Verfassungsschutz hiervon rund 105 Personen der salafistischen Szene zu. Das islamistisch-terroristische Personenpotenzial liegt in Sachsen-Anhalt im mittleren zweistelligen Bereich. Die Gefahr für jihadistisch motivierte Gewalttaten ist nach wie vor hoch. Eine besondere Bedrohung geht dabei von allein handelnden Tätern aus, die sich online radikalisieren, ohne Anschluss an islamistische Netzwerke vor Ort zu haben. Die salafistische Szene hat ihre Propaganda- und Rekrutierungsaktivitäten im digitalen Raum intensiviert; salafistische Influencer erzielen in sozialen Medien wie TikTok zum Teil hohe Reichweiten, wo sie vor allem junge, nach Orientierung suchende Muslime erreichen. Der Konsum salafistischer Online-Propaganda kann in relativ kurzer Zeit zu sehr schnellen Radikalisierungsverläufen führen.

Die Strukturen des Auslandsbezogenen Extremismus in Sachsen-Anhalt wurden wie in den Vorjahren auch im Jahr 2024 von Anhängern der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) dominiert. Die Zahl der PKK-Anhänger im Land lag unverändert bei rund 250 Personen.

In Magdeburg und Dessau-Roßlau haben die vornehmlich von Jugendlichen getragenen Gruppierungen „Young Struggle“ (YS) und „ZORA“ Versammlungen organisiert und sich an Kundgebungen der lokalen linksextremistischen Szene beteiligt. YS und „ZORA“ sind der türkischen linksextremistischen „Marxistischen Leninistischen Kommunistischen Partei“ zuzurechnen und verfügen in Sachsen-Anhalt über eine niedrige zweistellige Anhängerzahl.

Sicherheitsrisiken durch russische Desinformationskampagnen bestehen fort

Der Verfassungsschutz sieht derzeit ein erhöhtes Risiko für russische und prorussische Cyberangriffe, die sich u. a. gegen Unternehmen, Behörden und wissenschaftliche Institutionen richten. Zudem warnt der Verfassungsschutz vor möglichen Sabotageaktionen, die von russischen oder prorussisch eingestellten Personen ausgehen, welche von russischen Nachrichtendiensten angeworben oder mittelbar rekrutiert wurden.

Wie schon in den Vorjahren registrierte der Verfassungsschutz im Jahr 2024 einen verstärkten Einsatz von Desinformationskampagnen, die insbesondere von in Russland operierenden Akteuren ausgehen. Zur Verbreitung von Desinformation setzen diese Akteure zunehmend auf gefälschte oder technisch manipulierte Bilder, Tonaufzeichnungen oder Videos, die durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz verfälscht wurden (sogenannte „Deepfakes“). Häufig werden die Mittel eingesetzt, um politische Entscheidungsträger oder anderen Personen des öffentlichen Lebens täuschend echt zu imitieren und ihnen Äußerungen oder Handlungen zuzuschreiben, die sie in den Augen der Wählerinnen und Wähler in Misskredit bringen sollen.

Hintergrund

Der Verfassungsschutzbericht ist Teil der Extremismusprävention und Ausdruck der Arbeit und des gesetzlichen Auftrags des Verfassungsschutzes als Informationsdienstleister und Frühwarnsystem. Nach § 15 Abs. 2 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) hat das Ministerium für Inneres und Sport als Verfassungsschutzbehörde unter anderem die Öffentlichkeit periodisch über seine Aufgabenfelder und entsprechende verfassungsfeindliche Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 4 Abs. 1 VerfSchG-LSA zu unterrichten. Der Verfassungsschutzbericht richtet sich sowohl an die Landesregierung und den Landtag als auch an die Bürgerinnen und Bürger im Land. Er gibt einen Überblick über das Potenzial der verfassungsfeindlichen Bestrebungen in Sachsen-Anhalt. Zudem sind hier Prognosen zu den Entwicklungen in den einzelnen extremistischen Phänomenbereichen zu finden.

Der komplette Verfassungsschutzbericht 2024 und die Berichte der Vorjahre sind im Internet abrufbar unter:

https://mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz/verfassungsschutzberichte-zum-downloaden/

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