(OLG NMB) Bundesweiter Strafkammertag in Würzburg - Richter erarbeiten Forderungen an Politik und Gesetzgebung
Gemeinsame Pressemitteilung der Mitglieder der Arbeitsgruppe ?Zukunft des Strafprozesses? (Präsidentinnen und Präsidenten des Kammergerichts und der Oberlandesgerichte Brandenburg, Braunschweig, Köln, Oldenburg, Schleswig, Stuttgart und Bamberg) Fast 80 Vorsitzende von Strafkammern und Strafsenaten, hochkarätige Praktikerinnen und Praktiker des Strafrechts aus dem gesamten Bundesgebiet, haben unter dem Motto ?Gerechter Strafprozess braucht gute Gesetze? auf dem zweiten bundesweiten Strafkammertag am 26. September 2017 in Würzburg unter Einbringung ihrer umfassenden Erfahrung und strafrechtlichen Kompetenz zu Beginn der neuen Legislaturperiode des Bundestages Gesetzgebungsvorschläge aus Sicht der gerichtlichen Praxis erarbeitet. Die Arbeitsgruppe ?Zukunft des Strafprozesses? der Präsidentinnen und Präsidenten des Bundesgerichtshofs, der Oberlandesgerichte und des Kammergerichts unter Leitung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Bamberg Clemens Lückemann und die Teilnehmer des Strafkammertages appellieren an die Politik, in den anstehenden Koalitionsverhandlungen eine weitere Verbesserung des deutschen Strafprozesses zu vereinbaren. Lückemann: ?Die deutsche Strafjustiz erhofft sich ein Signal von der Politik durch die Aufnahme etwa folgender Vereinbarung in einen abzuschließenden Koalitionsvertrag: Wir werden das Strafverfahren weiter praxisgerecht verbessern und die Wahrheitsfindung im Strafprozess erleichtern.? Die deutsche Strafjustiz sieht sich großen Herausforderungen gegenüber. Sie hat die Aufgabe, Straftaten umfassend aufzuklären und schnellstmöglich Urteile auf sicherer Tatsachengrundlage zu sprechen. Nur gute Gesetze garantieren zügige und faire Strafprozesse und entsprechen den berechtigten Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an eine wirksame Strafrechtspflege, die der Rechtsstaat der rechtstreuen Bevölkerung schuldet. In diesem Sinne haben die Teilnehmer des zweiten bundesweiten Strafkammertages in sechs Arbeitsgruppen folgende zwölf konkretisierende Kernvorschläge an die Politik erarbeitet, die im Plenum jeweils verabschiedet wurden: Nach Befangenheitsanträgen ? vor und während der Hauptverhandlung ? soll die Hauptverhandlung bis zum übernächsten Verhandlungstag, mindestens aber für zwei Wochen fortgesetzt werden können. Entscheidung über Besetzungsrügen im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens, wobei die sofortige Beschwerde keine aufschiebende Wirkung entfaltet und die vom Beschwerdegericht getroffene Entscheidung für das Revisionsverfahren bindend ist.Unterbindung von ?ins Blaue hinein? gestellten Beweisanträgen durch erhöhte gesetzliche Anforderung an deren Begründung.Erweiterte Verlesbarkeit von Urkunden in Fällenvon Zeugenfragebögen/Strafanzeigen in gleichgelagerten Masseverfahrenvon Berichten der Jugendgerichtshilfe und der BewährungshilfeRevisionen sollen nur noch dann zulässig sein, wenn sie durch einen Verteidiger begründet werden, der die Sachrüge in gleicher Weise wie die Verfahrensrüge auszuführen hat. Die Revision gegen Entscheidungen der kleinen Strafkammer bedarf zusätzlich der Zulassung; die Sprungrevision wird abgeschafft. Das Verschlechterungsverbot bei Widerruf eines Geständnisses nach erfolgter Verständigung entfällt.Sofern mehrere Nebenkläger gleichgelagerte Interessen im Strafverfahren verfolgen, soll ihnen derselbe Rechtsbeistand bestellt werden. Dies ist in den Fällen des § 395 II Nr. 1 StPO in der Regel anzunehmen. Die Rechte aus §§ 68b und 406f StPO bleiben unberührt.Die Tatsachenfeststellungen und der Schuldspruch im Strafverfahren sollen eine Bindungswirkung in nachfolgenden Zivilverfahren entfalten.Wir fordern die Formulierung eines Anspruchs auf und eine Pflicht zur aufgabenorientierten Fortbildung (zeitnah, ortsnah, kompakt, nacharbeitsfrei) unter Berücksichtigung bei der Personalausstattung und tätigkeitsbegleitende Unterstützung durch Maßnahmen wie Coaching/Supervision gezielt für Strafrichter.Wir fordern zur Entlastung der Strafkammern und Professionalisierung der Pressearbeit eine gesetzliche Regelung, die gewährleistet, dass die Tätigkeit durch erfahrene, entsprechend geschulte und ausreichend freigestellte Mitarbeiter ausgeübt werden kann.Gerechter Strafprozess braucht gute Gesetze und zuverlässige technische Grundlagen. Die Verantwortlichen in Bund und Ländern werden aufgefordert, für die elektronische Akte im Strafprozess einheitliche Standards zu schaffen und einen reibungslosen Datenaustausch zwischen sämtlichen beteiligten Stellen zu gewährleisten.Zur Wahrung der Rechte aller Verfahrensbeteiligten auf informationelle Selbstbestimmung sollte in Abänderung der neu gefassten Regelungen Einsicht in die eAkte nur durch Rechtsanwälte oder im Gericht erfolgen. Der missbräuchliche Umgang mit den Daten muss verhindert werden.Die Möglichkeiten der eAkte zur Konzentration der Hauptverhandlung sollen umfassend geprüft werden, zum Beispiel für das Selbstleseverfahren und für die (Selbst-) Augenscheinseinnahme auch durch die Öffentlichkeit. Die Anliegen der strafrechtlichen Praxis werden den Parteivorsitzenden der maßgeblichen Parteien sowie deren Fraktionsvorsitzenden und Rechtspolitikern kommuniziert. Verbunden wird dies mit der Bitte, diese Forderungen, soweit sie sich an den Bundesgesetzgeber richten, in der neuen Legislaturperiode zu berücksichtigen. Den zweiten Strafkammertag in Würzburg haben die Mitglieder der Arbeitsgruppe ?Zukunft des Strafprozesses? - die Präsidentinnen und die Präsidenten des Kammergerichts und der Oberlandesgerichte Bamberg, Brandenburg, Braunschweig, Köln, Oldenburg, Schleswig und Stuttgart - organisiert und gestaltet. Grußworte in Würzburg sprachen die Präsidentin des Bundesgerichtshofs Bettina Limperg und der Amtschef im Bayerischen Staatsministerium der Justiz Prof. Dr. Frank Arloth. Den Einleitungsvortrag hielt die Abteilungsleiterin Rechtspflege des Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Ministerialdirektorin Marie Luise Graf-Schlicker. Auftakt der Veranstaltung war am 25. September 2017 ein Staatsempfang, gegeben vom Bayerischen Staatsminister der Justiz Prof. Dr. Winfried Bausback für die Bayerische Staatsregierung, mit über 150 Gästen aus Rechtspflege, Politik und Verwaltung.
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