(OLG NMB) Abgasskandal: Der 7. Zivilsenat billigt dem Käufer eines Gebrauchtwagens Schadenersatz gegenüber VW zu
7 U 24/19 OLG Naumburg10 O 371/18 LG MagdeburgDie Volkswagen AG ist dem Käufer eines gebrauchten VW Tiguan TDI, der vom sogenannten Abgasskandal betroffen ist, zum Schadensersatz in Form des Ersatzes des Kaufpreises unter Abzug einer Nutzungsentschädigung gegen die Übereignung und Herausgabe des Gebrauchtwagens verpflichtet. Dies ergibt sich aus einem Urteil des 7. Zivilsenats vom 27. September 2019. Der Kläger erwarb im Frühjahr 2014 von einem Autohaus in Sachsen-Anhalt einen VW Tiguan 2.0 TDI R-Line als Gebrauchtfahrzeug. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 EU 5 ausgestattet, den die Beklagte (die Volkswagen AG) entwickelt hat. In dem Motor ist eine Software verwendet, die erkennt, ob sich das Fahrzeug im Testlauf unter Laborbedingungen oder im normalen Straßenverkehr befindet. Die Abgassteuerung weist zwei unterschiedliche Betriebsmodi auf, von denen einer automatisch aktiviert wird, wenn das Fahrzeug auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte getestet wird. Nur in diesem Modus funktioniert die Abgasaufbereitung in einer Weise, dass die gesetzlich geforderten Grenzwerte für Stickstoffemissionen eingehalten werden können. Unter Fahrbedingungen, die im normalen Straßenverkehr vorzufinden sind, wird der Fahrmodus aktiviert, der zu einem höheren Stickstoffausstoß führt. Nachdem im September 2015 die Verwendung dieser Software bekannt geworden war, wurde die Beklagte durch Bescheid des Kraftfahrtbundesamtes vom 15. Oktober 2015 verpflichtet, bei allen betroffenen Fahrzeugen mit Dieselmotoren vom Typ EA 189 die aus Sicht der Behörde unzulässige Abschalteinrichtung zu entfernen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die betroffenen Fahrzeuge in einen vorschriftsgemäßen Zustand zu versetzen. Die Beklagte bot den Inhabern der betroffenen Fahrzeuge im Rahmen einer Rückrufaktion die Aufspielung eines kostenlosen Software-Updates an, das ausweislich einer Bestätigung des Kraftfahrtbundesamtes vom 1. Juni 2016 geeignet sei, den vorschriftsmäßigen Zustand der Fahrzeuge herzustellen. Der Kläger ließ das Software-Update nicht ausführen und nahm die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht Magdeburg hat die Klage mit Urteil vom 21. März 2019 abgewiesen. Dem Kläger stehe gegenüber der Beklagten als Herstellerin des Fahrzeuges kein Schadensersatzanspruch zu. Insbesondere hafte die Beklagte nicht unter dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, weil das Unterlassen einer für die Kaufentscheidung erheblichen Information in einem Prospekt oder in Werbeankündigungen für sich genommen noch nicht verwerflich sei. Der 7. Zivilsenat hat auf die Berufung des Klägers seinem Schadensersatzbegehren überwiegend stattgegeben. Nach Auffassung des Senats kann der Kläger Schadensersatz in Form der Erstattung des Kaufpreises unter Abzug einer Nutzungsentschädigung gegen die Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs an die Volkswagen AG verlangen. Dieser Schadensersatzanspruch ? so der Senat ? ergibt sich aus dem Gesichtspunkt der sittenwidrigen Schädigung und damit den §§ 826, 31 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Die schädigende Verletzungshandlung bestehe darin, dass die Beklagte den mit der Abschalteinrichtung versehenen Motor in den Verkehr gebracht habe. Damit habe sie zum Ausdruck gebracht, dass das Produkt den behördlichen Zulassungsprozess ohne Manipulation durchlaufen habe. In dieser Erwartung werde der Kunde getäuscht. Der Schaden des Käufers liege in einem wirtschaftlich nachteiligen Vertrag. Er erwerbe ein mangelhaftes Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung, deren Illegalität sich aus dem Bescheid des Kraftfahrtbundesamtes vom 15. Oktober 2015 ergebe. Das Angebot des Software-Updates kompensiere diesen Schaden nicht. Die in der Verwendung der Abschalteinrichtung angelegte Täuschung wirke sich bei sämtlichen Veräußerungen des betroffenen Fahrzeuges aus. Daher erstrecke sich die Ursächlichkeit der Schädigungshandlung auf sämtliche Glieder einer Käuferkette, so auch den Kläger als Erwerber eines Gebrauchtfahrzeugs. Das Vorgehen der Beklagten sei als sittenwidrig anzusehen. Mit der Implementierung der unzulässigen Abschalteinrichtung habe die Beklagte ein System zur gezielten Verschleierung ihres Vorgehens eingerichtet. Sie habe sich das Vertrauen der Käufer in die Zuverlässigkeit des öffentlich-rechtlichen Zulassungsverfahrens zunutze gemacht und die Gewinnmaximierung mit unzulässigen Mitteln erstrebt. Der Beklagten sei in subjektiver Hinsicht ein Schädigungsvorsatz vorzuwerfen. Der Senat habe die Überzeugung gewonnen, dass die Entwicklung der Software mit Wissen und Wollen des seinerzeitigen Vorstandes oder eines sonstigen Repräsentanten der Beklagten erfolgte. Es liege nahe, dass die Beeinflussung der Steuersoftware einer ganzen Motorenreihe eine wesentliche Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern darstelle, die Gegenstand einer Berichtspflicht gegenüber dem Vorstand gewesen sei. Darüber hinaus habe der Kläger unter Verweis auf Veröffentlichungen in der Presse und auf öffentliche Äußerungen der Beklagten dargelegt, woraus sich aus seiner Sicht die Kenntnis einzelner Vorstandsmitglieder der Beklagten von den hier in Rede stehenden Vorgängen ergibt. Vor diesem Hintergrund habe die Beklagte im Einzelnen erläutern müssen, wie es zur Planung und dem Einbau der Software ohne die Kenntnis des Vorstandes gekommen sein könnte, um sich zu entlasten. Dazu habe die Beklagte keinen ausreichenden Vortrag geleistet. Die Höhe des Schadensersatzes hat der Senat entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht unter Berücksichtigung eines Vorteilsausgleichs bemessen. Der Kläger müsse sich den Wert der von ihm seit dem Erwerb des Fahrzeugs gezogenen Nutzung anrechnen lassen. Die gegenteilige Betrachtungsweise werde der Zielsetzung des deutschen Schadensersatzrechts nicht gerecht. Rechtsfolge einer unerlaubten Handlung sei ausschließlich der Schadensausgleich, nicht aber eine Bereicherung des Geschädigten oder eine Bestrafung des Schädigers. Deswegen müsse sich der Geschädigte die Vorteile der Nutzung anrechnen lassen. Der Senat hat die Revision zugelassen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
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