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Magdeburg, den 05.12.2005

Rede von Ministerpräsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer auf der Feierstunde zum Tag des Ehrenamtes am 5. Dezember 2005 im Landtag von Sachsen-Anhalt in Magdeburg

Staatskanzlei - Pressemitteilung Nr.: 582/05 Staatskanzlei - Pressemitteilung Nr.: 582/05 Magdeburg, den 5. Dezember 2005 Rede von Ministerpräsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer auf der Feierstunde zum Tag des Ehrenamtes am 5. Dezember 2005 im Landtag von Sachsen-Anhalt in Magdeburg Es gilt das gesprochene Wort! Herr Landtagspräsident, liebe Ehrenamtliche, sehr geehrte Abgeordnete, meine sehr verehrten Damen und Herren In einer modernen, arbeitsteiligen Gesellschaft sind wir alle in vielfacher Weise aufeinander angewiesen. Ein Staat sei wie ein aus Steinen gebautes Gewölbe, so beschrieb es schon der römische Philosoph und Schriftsteller Seneca. Jeder Stein ist notwendig, um alle anderen zu halten und wird selbst von allen anderen gehalten. Das gilt für unsere Zeit und unsere Lebensverhältnisse noch mehr. Dabei ist es überhaupt nicht möglich, alle Notwendigkeiten zur Regelung des zwischenmenschlichen Zusammenlebens durch den Staat und seine Gesetze zu steuern und durch eine über Steuern finanzierte Verwaltung organisieren zu wollen. Ein solcher Staat würde zwangsläufig zu einer perfekten Diktatur mutieren müssen und würde früher oder später wie eine große Kaserne empfunden werden. Es hat solche Staaten schon gegeben und einige gibt es wohl noch. Ein freiheitlich orientierter Staat muss seinen Bürgern den Freiraum gewähren, soviel als möglich selbst zu regeln. Dazu bedarf es des Engagements vieler; insbesondere dabei des ehrenamtlichen Engagements. Weil das weltweit so ist und überall gilt, haben die Vereinten Nationen den 5. Dezember zum Tag des Ehrenamtes ausgerufen. An diesem Tag sollen weltweit ehrenamtliche Tätigkeiten öffentlich gewürdigt werden. Das alles gilt auch für und bei uns. Erfreulich ist, dass der Anteil der ehrenamtlich Tätigen an der Gesamtbevölkerung bei uns im letzten Jahr auf 30% gestiegen ist. Das sind zwei Prozentpunkte mehr als fünf Jahre zuvor. Gestiegen ist auch der Anteil derjenigen, die noch nicht ehrenamtlich aktiv sind, dazu aber grundsätzlich bereit wären. 1999 waren dies 24%, jetzt sind es immerhin 33%. Hier ist also ein Potenzial vorhanden, dass wir erschließen sollten. Im bundesweiten Vergleich liegen wir nämlich beim ehrenamtlichen Engagement noch immer unter dem deutschen Durchschnitt. Das gilt auch für die anderen neuen Bundesländer. Die genannten Zahlen stammen aus dem Freiwilligensurvey 2004. Die Landeszentrale für politische Bildung wird die Daten für das Land im Rahmen einer Fachtagung im Januar detailliert vorstellen. Sie sind, das gebe ich gerne zu, teilweise auch überraschend. So sind die Bürgerinnen und Bürger in den ländlichen Gebieten und in den kleineren Städten stärker ehrenamtlich engagiert als die Bevölkerung in den großen Städten. Berufstätige sowie Schüler und Studenten tragen den Hautpanteil der ehrenamtlichen Arbeit in Sachsen-Anhalt während Rentner und Arbeitslose unter den Ehrenamtlichen noch immer unterrepräsentiert sind. Auch zwischen den Geschlechtern gibt es deutliche Unterschiede in der ehrenamtlichen Tätigkeit. Während sich 37% der Männer ehrenamtlich engagieren, sind nur 23% der sachsen-anhaltischen Frauen in einem Ehrenamt aktiv. Und schließlich: Etwas mehr als die Hälfte der ehrenamtlich Engagierten gibt an, nicht auf Unterstützung des Arbeitgebers rechnen zu können. Vom Staat und der Öffentlichkeit wünschen sich die Ehrenamtlichen vor allem bessere Informationen über Möglichkeiten des freiwilligen Engagements und mehr Anerkennung durch Berichte in den Medien, aber auch durch Ehrungen. Dass in diesem Jahr vor allem die unter 30jährigen zum Tag des Ehrenamtes in den Landtag eingeladen wurden, hat einen bestimmten Grund. Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass auch viele jüngere Sachsen-Anhalter sich schon ehrenamtlich engagieren und wichtige Aufgaben für die Gemeinschaft wahrnehmen. 37% aus der Gruppe der Schüler, Studenten und Auszubildenden sind ehrenamtlich tätig. Das verdient Anerkennung. Unsere Gesellschaft braucht viele Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Im Landessportbund sind bei uns zur Zeit über 60.000 Ehrenamtliche tätig. Ein großer Teil davon als Übungsleiter. Ohne deren ehrenamtliche Tätigkeit wäre der Sport für viele unbezahlbar. Gerade Kinder und Jugendliche profitieren hier vom Ehrenamt. In den über 1.700 freiwilligen Feuerwehren im Land sind gut 39.000 Feuerwehrleute aktiv. Auch sie sind ehrenamtlich tätig. Ihr Einsatz nützt allen, denn jeder möchte, dass er im Falle eines Brandes mit schneller Hilfe rechnen kann. Ganz gewiss auch manch Unternehmer, der sich etwas schwer damit tut, seine Angestellten für Brandschutzschulungen oder Einsätze freizustellen. In kleinen Orten wäre eine Berufsfeuerwehr unbezahlbar, sowohl für den Staat wie für die Bürgerinnen und Bürger. Wenn sich jedoch genügend Einwohner zusammenfinden, die gemeinsam den Brandschutz für ihren Heimatort organisieren, ist mit geringen Mitteln ein maximaler Effekt möglich. Gleiches gilt für die 266 Gemeindebibliotheken im Land. Bibliotheken sind immer kostenintensiv. Das gilt umso mehr, je kleiner ein Ort und je geringer die Zahl der Nutzer ist. In vielen Orten können Bibliotheken daher nur bestehen, weil die Bibliothekare ehrenamtlich arbeiten. Sie alle, die Sie heute in den Landtag eingeladen wurden, haben irgendwann einmal den Schritt getan, sich für andere, für die Gemeinschaft zu engagieren. Dies heißt immer auch sich überwinden, Freizeit zu opfern und Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen. Für das, was man anderen gibt, kann man als Ehrenamtlicher keine adäquate finanzielle Erstattung erwarten. Doch das ist schließlich der Sinn, das Besondere an ehrenamtlicher Tätigkeit. Deshalb gilt Ihnen und dem, was Sie tun, meine Hochachtung. Ehrenamtlich tätig sein ist so auch eine Lebenseinstellung. Wir können staatlicherseits noch so stark die Werbetrommel für das Ehrenamt rühren, wir können Netzwerke schaffen bis hinunter zur Ebene der Kommunen, denjenigen, der nur seinen persönlichen Vorteil sieht, werden wir nie erreichen. Ehrenamtliches Engagement hängt daher nicht in erster Linie von Strukturen ab, die geschaffen oder ausgebaut werden müssen. Damit produzieren wir unter Umständen nur neue Bürokratie. Wir brauchen nicht hauptamtliche Ehrenamtliche, sondern eine stärkere Bereitschaft zum Ehrenamt an sich. Das Ehrenamt zu fördern, heißt also vor allem eine positive Einstellung zum Ehrenamt und zum uneigennützigen Tätigwerden fördern. Hier sind alle gefordert, die Schule, das Elternhaus, die Kirchen, Vereine und Verbände und natürlich auch Arbeitgeber und öffentliche Hand. Wenn das Bewusstsein für den Wert des Ehrenamtes wächst, wächst auch die Bereitschaft, ein solches Amt zu übernehmen. Kurz: ehrenamtliches Engagement lässt sich nicht verordnen, sondern muss sich entwickeln. In Sachsen-Anhalt haben wir in den letzten Jahren versucht, die Rahmenbedingungen dafür möglichst optimal zu gestalten: · Mit einem Erlass des Finanzministeriums vom Mai diesen Jahres wurden Erleichterungen bei der Gewährung von Zuwendungen geschaffen. · Schülerinnen und Schüler können sich seit dem letzten Schuljahr ihre freiwillig geleistete Tätigkeit auf einem Formblatt bescheinigen lassen, dass dann dem Zeugnis beigefügt wird. Ich halte dies für eine sehr gute Idee, weil so über die Schulnoten hinaus, Leistungen honoriert werden, die für diese Gesellschaft einen nicht unerheblichen Wert besitzen. · Innerhalb der Standortkampagne "Sachsen-Anhalt. Wir stehen früher auf" wurden im Rahmen des Frühaufsteher-Wettbewerbes auch Menschen gesucht, die sich ehrenamtlich engagieren und Vorbild für andere sind. Der Preis ging an eine junge Hallenserin, die sich ehrenamtlich für Jugendliche in Halle engagiert. Ihr Bild wird neue Plakate im Rahmen der Frühaufsteher-Kampagne zieren und sie wird damit auch zu einer Botschafterin für das Ehrenamt. · Erwähnen will ich auch die Ehrennadel des Ministerpräsidenten, die seit dem Jahr 2000 an Bürgerinnen und Bürger verliehen wird, die sich in ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit besonders hervorgetan haben. Hinzu kommt das Brandschutzehrenzeichen, dass seit dem Juli auch für besondere Leistungen im Katastrophenschutz verliehen wird. Ab dem nächsten Jahr werden wir die Verleihung von Auszeichnungen für besondere Verdienste in ehrenamtlicher Tätigkeit neu ordnen. Danken möchte ich aber auch den Medien. In unserem medialen Zeitalter besitzen sie besondere Fähigkeiten, Menschen zu mobilisieren und für wichtige Themen zu sensibilisieren. Daher freue ich mich, dass auch die Medien in Sachsen-Anhalt in den vergangenen Jahren immer dabei waren, wenn es darum ging, ehrenamtliches Engagement zu fördern und ins rechte Licht zu rücken. Ich erinnere nur an Spendenaktionen zum Elbehochwasser 2002 oder während der verheerenden Flutwelle im Indischen Ozean Ende letzten Jahres. Darüber hinaus haben die Medien aber immer auch unabhängig von konkreten Ereignissen das ehrenamtliche Engagement im Land Sachsen-Anhalt unterstützt. Ich denke dabei z. B. an den 2001 von der Mitteldeutschen Zeitung gegründeten Unterstützungsverein "Wir helfen". Über ihn werden soziale Kinder- und Jugendprojekte in Sachsen-Anhalt gefördert. Oder aber die Volksstimme. Seit mehreren Jahren gibt es hier das Projekt "Volksstimme-Leser helfen". Für gemeinnützige Zwecke kommen Jahr für Jahr ca. 60.000 ¿ zusammen. In diesem Jahr steht die Aktion unter dem Motto "Kindern eine Chance". Der MDR berichtet regelmäßig über ehrenamtlich Tätige. Ich denke z. B. an die "Fitmacher"-Reihe in "Sachsen-Anhalt-heute". Hier geht es um Sportvereine. Die Kür des besten Vereins wird morgen erfolgen. Auch MDR1 Radio Sachsen-Anhalt informiert in seiner Serie "Ein toller Typ ¿ mein Nachbar" über ehrenamtliche Hilfe in der Nachbarschaft. All dies zeigt, dass auch die Medien sich ihrer Verantwortung für das Gemeinwohl in unserem Land bewusst sind. Der MDR unterstützt in den drei Bundesländern künftig die Tafel-Bewegung. Auftakt in Sachsen-Anhalt dazu ist der 16. Dezember. Ein weiterer Aspekt scheint mir zunehmend wichtiger zu werden. Wir alle fragen uns immer wieder nach dem Sinn des eigenen Lebens. Während vieler früherer Generationen wurde diese Frage von den Kirchen beantwortet. Immer mehr Menschen in unserer Zeit werden von diesen Antworten nicht mehr erreicht. Immer mehr Menschen fragen danach, welchen Sinn sie ihrem Leben selbst geben können. Das Zusammenleben der Generationen in einer Familie kann eine solche Antwort sein. Auch ideologisch fundierte Staaten haben den Anspruch, sinnstiftend für den Einzelnen sein zu wollen. Sie alle begründen das mit angeblichen historischen Gesetzmäßigkeiten, zu deren Durchsetzung der Einzelne sich engagieren und damit seinem Leben Sinn geben soll. Fast immer wird eine höhere Gerechtigkeit behauptet, der man sein Leben widmen solle. Früher war es eine angebliche "völkische Gerechtigkeit", die nach einem straff organisierten Staat verlangte, um ein Zusammenleben nach eigenen Ordnungsvorstellungen durchzusetzen. Dann war es eine größere soziale Gerechtigkeit, der man im historischen Klassenkampf sein Leben widmen solle, um ein Höchstmaß an Umverteilung zu organisieren. Manchmal war es auch beides. Immer hat das zu einem Leben in Unfreiheit geführt. Gerade vor Jugendlichen ist es hier wichtig auf solche Zusammenhänge hinzuweisen, weil unter ihnen einige unterwegs sind, die für diese alten falschen Antworten werben. Sie würden doch nur wieder in jenes Unglück führen, dass wir in unserer Geschichte schon hinter uns haben. Wer - wie viele Jugendliche ¿ unterwegs ist auf der Suche nach dem eigenen Lebenssinn und wer von den angebotenen traditionellen Antworten nicht überzeugt ist, der muss seinem eigenen Leben aktiv einen eigenen Sinn geben. Das kann man immer nur durch Leistung und in einem Engagement für andere finden. Das kann in beruflicher Tätigkeit sein, in der man sich in besonderer Weise einbringt, oder ¿ und das ist häufiger und für viele erfüllender ¿ in einer außerberuflichen ehrenamtlichen Tätigkeit. Deshalb werden wir in den nächsten Jahren gemeinsam in Sachsen-Anhalt ein Klima gestalten, in dem sich die ehrenamtliche Tätigkeit weiter gut entwickeln kann. Die Landesregierung wird auch künftig ihren Beitrag dazu leisten. Indem wir dafür sorgen, dass Ehrenamtliche weiterhin mit Aufwandsentschädigungen und Lohnausfallerstattungen rechnen können, indem wir Projekte fördern und natürlich immer auch schauen, wo können Verwaltungsvorgänge vereinfacht werden, um ehrenamtliches Engagement zu erleichtern. In Sachsen-Anhalt findet derzeit ein sehr viel höherer Prozentsatz aus Eigeninitiative zum Ehrenamt als im Bundesdurchschnitt. Es ist erfreulich, dass sich viele Sachsen-Anhalter von allein für das Ehrenamt entscheiden. Im Bundesdurchschnitt sind fast 60% derjenigen, die sich ehrenamtlich engagieren, dafür geworben worden. Das zeigt, wie wichtig es ist, auf Menschen zuzugehen und sie aufzufordern mitzumachen. Diese Ansprache erfolgt am effektivsten durch die Vereine und Verbände, die Freiwillige Feuerwehr oder den Sportverein oder die Selbsthilfegruppe und ihre Mitglieder. Nur so bekommt das Ehrenamt ein Gesicht, bekommen die Menschen ein Bild von den Aufgaben und dem Nutzen ihrer Tätigkeit. Wenn wir so für das Ehrenamt werben, sollte es uns gelingen, noch mehr Menschen dafür zu begeistern. (Anrede!) Ich möchte allen, die als Ehrenamtliche aus den verschiedensten Teilen Sachsen-Anhalts hierher gekommen sind noch einmal herzlich für ihr Engagement und ihre wichtige Arbeit für einen guten Zweck danken. Die Einladung hierher in den Landtag soll ihnen zeigen, dass der Landtag und die Landesregierung den Wert ihrer Arbeit erkennen und zu schätzen wissen. Sie sind dabei stellvertretend für die vielen Tausend Sachsen-Anhalter hier, die oft seit Jahren ehrenamtlich arbeiten. Ohne sie wäre das gesellschaftliche Leben in unserem Land ärmer. Ohne eine solche ehrenamtliche Tätigkeit wären Tausende unter uns persönlich ärmer und wir alle als Gesellschaft. Ein solches Engagement macht Tausende unter uns und unsere Gesellschaft reicher. Deshalb wünsche ich Ihnen, den Tausenden ehrenamtlich Tätigen im Land und uns allen lebenssinnstiftende Freude und Erfolg für unsere Gesellschaft. Impressum: Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt Pressestelle Domplatz 4 39104 Magdeburg Tel: (0391) 567-6666 Fax: (0391) 567-6667 Mail: staatskanzlei@stk.sachsen-anhalt.de

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