"Die Stellung Sachsen-Anhalts in der Gemeinschaft deutscher Länder" Regierungserklärung von Ministerpräsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer in der Landtagssitzungam 16. Februar 2006
Staatskanzlei - Pressemitteilung Nr.: 094/06 Staatskanzlei - Pressemitteilung Nr.: 094/06 Magdeburg, den 16. Februar 2006 "Die Stellung Sachsen-Anhalts in der Gemeinschaft deutscher Länder" Regierungserklärung von Ministerpräsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer in der Landtagssitzungam 16. Februar 2006 Anrede! Eine Regierungserklärung in der letzten Plenarsitzung einer Legislaturperiode kann naturgemäß keinen programmatischen Inhalt haben, wenn sie nicht als Wahlkampf missverstanden werden soll. Der gleiche Verdacht würde aufkommen, wenn sie wie ein Bilanzbericht angelegt werden würde. Beides habe ich nicht vor. Ich möchte am Ende dieser Legislaturperiode die Gelegenheit nutzen, Ihnen einige Gedanken vorzutragen, für die wir uns während der bisherigen gemeinsamen Arbeit kaum Zeit nehmen konnten. Die Staatsqualität Sachsen-Anhalts hat unter allen 16 Bundesländern die kürzeste Geschichte. Als eigenständiges Land hatte Sachsen-Anhalt lediglich von Sommer 1945 bis zum Sommer 1952 bestanden, bevor es mit dem Ländereinführungsgesetz vom 22. Juli 1990 am 14. Oktober 1990 wieder errichtet wurde. Die Reföderalisierung des Gebietes der ehemaligen DDR war nicht nur eine formale Anpassung an die Strukturen der Bundesrepublik, sie entsprach auch dem ausdrücklichen Willen der Bürgerrechtsbewegung in diesem Teil Deutschlands. Die erklärte Absicht, staatlicher Allmacht durch horizontale Gewaltenteilung zukünftig Schranken zu setzen, wurde von den meisten der damals aktiven Gruppierungen vertreten. Anders als in unseren Nachbarländern, die ihre Identität aus einer längeren gemeinsamen Geschichte ableiten, gibt es eine solche historisch gewachsene Landesidentität in Sachsen-Anhalt nicht. Obwohl bei einer Umfrage 1994 in Sachsen-Anhalt nur 45% der Befragten eine Identifikation mit ihrem Land angaben und damit weniger als in allen anderen deutschen Ländern, waren jedoch 78% der Meinung, das Land Sachsen-Anhalt solle auch bei einer eventuellen Länderneugliederung erhalten bleiben. Das muss jede Landesregierung als Auftrag verstehen, wenn sie die Interessen der eigenen Bürger nicht verraten will. Niemand bestreitet trotzdem die Notwendigkeit einer Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung in Deutschland. Weil der Bundestag während der vergangenen mehr als fünf Jahrzehnte immer häufiger von der Möglichkeit der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch gemacht hat, sind die Landtage in ihren Gesetzgebungsbefugnissen ausgeblutet. Sie haben kaum noch eigene Entscheidungsmöglichkeiten. Die Länder wurden mehr und mehr zu Verwaltungsprovinzen, ihr Staatscharakter ist kaum noch erkennbar. Dies wird sehr unterschiedlich wahrgenommen. Die Gesamtheit der alten Bundesländer beklagt diese Entwicklung als eigenen Bedeutungsverlust. Die neuen Bundesländer, die größere eigene Kompetenz nie selbst erlebt haben, sehen dies unterschiedlich. Soweit sie eine eigene Tradition haben, streben sie schon deshalb ebenfalls einen deutlicheren eigenen Staatscharakter an. Soweit sie diese eigene Tradition nicht haben, entsteht gelegentlich der Eindruck, als ob die nur als Verwaltungsprovinz empfundene Eigenständigkeit eine beliebige Spielmasse zur Profilierung sei. Deshalb sollten auch bei uns zukünftige Landesregierungen der eigenen Bevölkerung jenes Maß an Authentizität und Selbstwertgefühl vermitteln, das unsere Nachbarländer ganz selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen. Kritiker missverstehen das absichtlich als kultivieren einer Kleinstaaterei. Dabei geht es allen Ländern nur um die Wahrung eigener Identität in einem gemeinsamen Bundesstaat, den niemand in Frage stellt. Auch dieser Bundesstaat bedarf der Reformen. Die Welt um uns verändert sich rasant. Grundsätzliche technologische und soziologische Entwicklungen während der letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts haben dazu geführt, dass diese Welt nie wieder so sein wird, wie sie einmal war. Andere Nationen holen auf und dominieren in nie da gewesener Weise die Märkte. Uns gelingt es immer weniger, mit diesem Tempo mitzuhalten. Im Wettbewerb der Standorte sind jene Staaten im Vorteil, die schnell entscheiden können. Wir brauchen deshalb für unsere innerstaatliche Ordnung klare Zuständigkeiten beim Bund einerseits und bei den Ländern andererseits. Die Föderalismuskommission hat dazu erste Vorschläge gemacht, die in diesem Jahr umgesetzt werden sollen. Europa ist eine Realität. Mehr als 50 % unseres gesamten Gesetzesrechts, mehr als 80 % unseres Wirtschaftsrechts sind durch Vorgaben der Europäischen Union geprägt oder veranlasst. Der Entwurf eines gemeinsamen Verfassungsvertrages der Europäischen Union ist in zwei Ländern gescheitert. Die Gründe mögen unterschiedliche sein. Verbreitet ist die Sorge, die EU könne sich zu einem zentralistisch organisierten Verwaltungsmoloch entwickeln, in dem die Identität der Regionen verloren geht. 73 Regionen innerhalb der Europäischen Union verfügen über Regierungen und direkt gewählte Parlamente mit Gesetzgebungsbefugnissen. Auch wir gehören dazu. Gemeinsam umfassen die Regionen mit eigener Gesetzgebungsbefugnis fast die Hälfte der gesamten Bevölkerung der EU. Auf der sechsten Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten von Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen Ende November vorigen Jahres in München haben diese mit Zustimmung auch Sachsen-Anhalts eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, in der das Subsidiaritätsprinzip mehr als bisher als Leitgedanke für den Strukturaufbau einer Europäischen Union befürwortet wird. Der wichtige Gedanke der europäischen Gemeinschaft wird nur umgesetzt werden können, wenn er zu einer Einheit in Vielfalt führt und die Regionen ihre Identität nicht verlieren. Das gilt insbesondere für eine Region wie Sachsen-Anhalt, die aus historischen Gründen noch dabei ist, ihre eigene Identität zu finden. Die unterschiedliche Ausgangsposition der Länder innerhalb der Bundesrepublik hat auch in der Föderalismuskommission zu unterschiedlichen Zielvorstellungen geführt. Praktische Politik beginnt immer mit dem Betrachten der Realitäten. Dazu gehörte, dass wir nur die Ziele erreichen werden, die wir gemeinsam vertreten. Bereits am 6. Mai vorigen Jahres haben sich die Ministerpräsidenten auf gemeinsame Verhandlungspositionen geeinigt. Fast jedes Land hat dabei eigene Interessen zurückgestellt und um der Gemeinsamkeit willen andere Positionen mitgetragen, die keine eigene Priorität hatten. Die Zahlerländer im innerdeutschen Finanzausgleich halten eine grundlegende Neuordnung der Finanzverfassung für dringend notwendig. Alle Empfängerländer haben dies erst einmal abgelehnt. Um die erreichbaren Ziele umsetzen zu können, wurde dieses Thema zunächst ausgeklammert. Nach der gesetzestechnischen Verabschiedung der konsensfähigen Reformschritte sind weitere Gespräche über eine Neuordnung der Finanzverfassung vorgesehen. Davor wird noch viel zu klären sein. Bund und Länder bekennen sich zur Fortführung des Solidarpaktes einschließlich der Finanzierung des sog. Korbes II, wie dies bereits 2001 beschlossen wurde. Dafür sind die neuen Länder dankbar. Spätestens jetzt, wo es um die Konkretisierung einzelner Maßnahmen geht, wird deutlich, was Eingeweihte schon von Anfang an wussten, dass diese Einmütigkeit auf den unsicheren Füßen versteckter Undeutlichkeiten steht. Von Anfang an ist undeutlich geblieben, was alles zum Korb II gerechnet wird. Alle Versuche, mit der früheren Bundesregierung darüber in Gespräche zu kommen, sind gescheitert. Wenigstens aus der Sicht des Bundesfinanzministeriums soll alles dazu gezählt werden, was an Finanzierung in die neuen Bundesländer fließt. Das führt dazu, dass uns gelegentlich vorgeworfen wird, wir hätten schon viel zu viel Geld bekommen ¿ nachzulesen in einer kürzlich vom neuen Aufbau-Ost-Minister Tiefensee autorisierten Presseerklärung. Bei dieser Betrachtung wird die Finanzierung aller Bundesaufgaben in den neuen Ländern wie zum Beispiel Investitionen in Bundeswehrstandorte und ähnliches mit eingerechnet. Das entspricht nicht unseren Vorstellungen von der inneren Einheit in Deutschland. Die neuen Länder verstehen sich nicht als ein besonderes Gouvernement in Deutschland, sondern als wesensgleiche Länder in einem Bund. Die Finanzierung von Bundesaufgaben in den neuen Ländern sollte deshalb nicht anders gewertet werden, als eine solche in den alten Ländern. Ich bin dankbar dafür, dass sich die neue Bundeskanzlerin bereit erklärt hat, noch in diesen Monat mit Gesprächen darüber beginnen zu wollen. Niemand kann ein schnelles Ergebnis erwarten. In einem ersten Schritt soll über die Struktur solcher Gespräche entschieden werden. Sofern der Bund im Interesse der neuen Länder in diesem Gebiet seinerseits überproportional investiert, wird dies berücksichtigt werden müssen. Es ist sicher, dass diese Verhandlungen nicht einfach werden. Genauso wichtig sind Gespräche mit der neuen Bundesregierung über die Bewertungskriterien in den sog. Fortschrittsberichten der Bundesregierung über den Aufbau Ost. Ich halte es für selbstverständlich, dass wir über die Verwendung von Sonderbundesergänzungszuweisungen Rechenschaft ablegen müssen. Für die geplanten Föderalismusgespräche über die innerdeutsche Finanzstruktur wird ein Benchmarking der Länderhaushalte angedacht. Dass aber die Behebung von teilungsbedingten Sonderlasten nur mit einem einzigen fiskalischen Parameter gemessen wird, ist nicht sachgerecht. Dies dient einigen Medien regelmäßig zu einer Diffamierung der neuen Länder und bedient Ressentiments in westlichen Ländern. Hierüber mit uns zu sprechen, hat sich die neue Bundesregierung bereit erklärt. Wir wollen noch in diesen Monat das Verfahren dazu verabreden. Dabei sollten wir vor uns selbst nicht verschweigen, dass die Haushaltssituation in den neuen Bundesländern durchaus unterschiedlich ist. Aufgrund konsequenter eigener Politik steht Sachsen wesentlich besser da als wir in Sachsen-Anhalt. Es überzeugt nicht, die Gründe dafür nur bei anderen zu suchen. Wer sie wissen will, muss sich die Protokolle der parlamentarischen Haushaltsberatungen der letzten Jahre durchlesen. Das löst zwar unsere eigenen Probleme nicht, sollte aber vor der Wiederholung gemachter Fehler und politischer Konstellationen bewahren. Eins ist sicher, wir werden unsere selbst gemachten Schulden nicht bei anderen abladen können. Für unsere Position in der Föderalismusdebatte bedeutet dies, dass ein reiner Wettbewerbsföderalismus bei derzeit ungleicher Ausgangsposition für Sachsen-Anhalt völlig inakzeptabel sein muss. Aus der Interessenlage unseres Landes werden wir einen kooperativen Gestaltungsföderalismus anstreben, der - den Wettbewerb in den Bereichen zulässt, in denen zwischen den Ländern Chancengleichheit besteht und - der solidarische Strukturen zwischen den Ländern festschreibt, um die Chancengleichheit zu erhalten und in den Bereichen zu schaffen, wo diese noch nicht besteht. Diese Position wird von einer Mehrheit der Länder geteilt. Sie auszufüllen bedarf noch vieler Vereinbarungen und Absprachen. Unstrittig sind inzwischen die gefundenen Regelungen zu einem nationalen Stabilitätspakt mit einer Neuformulierung des Art. 109 Abs. 5 Grundgesetz (neu) und zur EU-Haftung in Art. 104a Abs. 6 GG (neu). Damit binden sich die Länder in ihre gesamtstaatliche Verantwortung ein. Konkret bedeutet das, dass niemand in einem Land Finanzierungsversprechungen machen kann, die er nicht mit eigenen Einnahmen finanzieren kann ¿ wenigstens solange nicht, so lange es dafür keinen gesamtstaatlichen Konsens gibt. Die übermäßige Verschuldung eines Landes belastet auch die anderen mit. Eine ausschließliche Haftung nach dem Verursacherprinzip wie sie von einigen Ländern gewünscht wurde, würde aber der unterschiedlichen Ausgangssituation nicht gerecht. Für Sachsen-Anhalt habe ich der jetzt gefundenen Kompromisslösung zugestimmt in der Hoffnung, dass sie niemals durch unser Verschulden greifen müsste. Bundesgesetze, die die Länder finanziell verpflichten, werden immer Zustimmungsgesetze bleiben. In einigen Bereichen waren die Länder bereit auf Zustimmungsrechte im Bundesrat zu verzichten, wenn in anderen originäre Gesetzgebungskompetenzen auf die Länder übertragen werden. Nicht allein die Mitwirkung an der Rechtsetzung des Bundes entspricht dem Staatscharakter der Länder, sondern die Gesetzgebung aus eigenem Recht. Das bedeutet, dass eine klare Abschichtung der Kompetenzen von Bund und Ländern nach dem Prinzip der Subsidiarität zu erfolgen hat. Der Staat muss von den Bürgern her gedacht werden. Er muss deshalb von unten nach oben organisiert werden. Nur was die Kommunen nicht leisten können, gehört in die Zuständigkeitsebene der Länder und nur was die Länder nicht leisten können, auch durch Koordination untereinander, gehört in die Zuständigkeit des Bundes. Wenn Chancengleichheit besteht, ermöglicht ein solcher Gestaltungsföderalismus auch einen gesunden Wettbewerb um die besten Lösungen. Dann geht es nicht um eine ungesunde Konkurrenz, sondern um ein lernendes System, das neuen politischen Ideen und Lösungen eine Chance gibt. Auch eine staatliche Ordnung muss innovationsoffen werden. Das geht am besten, wenn unterschiedliche Konzepte regional erprobt werden können. Nach Vollzug der Kreisgebietsneugliederung werden wir in einer zweiten Stufe der Verwaltungsreform nach den gleichen Prinzipien darüber entscheiden, was Gemeinden und Kreise selbst regeln können und was auf der Landesebene verbleiben muss. Die Erfahrungen aus der Finanzsituation mancher Abwasserzweckverbände lehren die Dinge so zu gestalten, dass das Land nicht erst zur Behebung auf der kommunalen Ebene selbst verschuldeter Notlagen in die Pflicht genommen wird. Im Verhältnis zwischen Bund und Ländern soll das gleiche Problem mit einem nationalen Stabilitätspakt eingefangen werden. Unter diesen prinzipiellen Gesichtspunkten soll der Bund künftig auf Regelungen der Behördenorganisation ganz verzichten und die Regelung des Verwaltungsverfahrens den Ländern überlassen. Das gilt prinzipiell für alle nach der Grundgesetzänderung neu vom Bund verabschiedeten, nicht im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze. Offen und noch umstritten ist die Anwendung auf bereits bestehende Gesetze. Dafür wird gegenwärtig noch eine Übergangsregelung gesucht. Da die Länder keine Steuergesetzgebungskompetenz haben, wäre es naheliegend, die Steuerverwaltung ausschließlich dem Bund zu überlassen. Das allerdings haben die meisten Länder abgelehnt. Solange das bisherige Verteilungssystem besteht, soll die Steuerverwaltung von Bund und Ländern gemeinsam verantwortet werden. Andererseits soll die Übertragung von haushaltsrelevanten Aufgaben durch den Bund an die Kommunen zukünftig grundsätzlich unterbleiben. Das Projekt der optierenden Kreise in der Arbeitsverwaltung als Bundesaufgabe war insofern die letzte Ausnahme. Ganz offensichtlich scheint sich dieses Modell zu bewähren. In den nächsten Jahren wird dieses Modell noch zu erheblichen grundsätzlichen Diskussionen führen. Solange noch erhebliche Unterschiede in der Steuerkraft und der Arbeitslosenquote unter den Ländern bestehen, sind wir an einer Kommunalisierung der Arbeitsverwaltung ohne Neuverteilung des Steueraufkommens nicht interessiert. Mit Ausnahme von Sachsen waren die neuen Bundesländer bisher nicht aktiv interessiert an der Übernahme der vollen Arbeitgeberkompetenz für die eigenen Beamten. Rechtssystematisch ist das logisch und insofern ist die Forderung der Länder begründet. Andererseits waren es die Länder selbst, die in den frühen 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts die Tariffindung dem Bund übertragen haben. Aus meiner Sicht wird die jetzt mehrheitlich gewollte Lösung nicht am Votum Sachsen-Anhalts scheitern. Wir werden unsererseits darauf achten, dass die Tarifgemeinschaft deutscher Länder eine Koordinierungsfunktion untereinander übernimmt. Die Verhandlungsführung durch die Länder hat sich ohnehin bewährt. Für den Bund bedeuteten Tariferhöhungen regelmäßig mehr Steuereinnahmen als die Erhöhung der eigenen Personalausgaben ausgemacht hatte. Das ist bei den Ländern umgekehrt, weshalb sie zukünftig für sich selbst verhandeln wollen. Der Bund hat eine Personalquote von unter 20 %, die Ländern von bis zu 50 %. Besonders die südwestlichen Länder fordern deshalb im Sinne der Eigenstaatlichkeit die Organisations- und die Personalhoheit für die eigenen Bediensteten zurück. Ich bin bereit dies mitzutragen, weil wir die Solidarität dieser Länder in anderen für uns existenziellen Fragen brauchen. Für viele Länder war und ist eine umfassende eigene Bildungskompetenz wichtig. Bundesweit vergleichbare Standards, insbesondere bei der Zulassung und den Abschlüssen können die Länder untereinander selbst koordinieren. Gemeinsame Standards in der Qualitätssicherung bedürfen nicht der Einflussnahme des Bundes und dürfen einen notwendigen Qualitätswettbewerb untereinander nicht konterkarieren. Die in Vergleichsstudien festgestellten unterschiedlichen Ergebnisse der Länder können zu einer Ergebnisverbesserung bei allen Ländern führen. Eine zentralistische Bundeseinheitlichkeit führt dagegen eher zu einer Erstarrung des Systems und nicht zu einem sich selbst beflügelnden Wettbewerb um die bessere Lösung. Die ungehinderte Mobilität der Menschen in Deutschland muss darunter nicht leiden, wenn die Koordinierung über die Kultusministerkonferenz funktioniert. Der Wegfall der Mischfinanzierung Hochschulbau ist für die neuen Länder akzeptabel. Mit Art. 143c Abs. 3 GG (neu) ist eine Übergangsregelung bis zum Auslaufen des Solidarpaktes vorgesehen, nach der zunächst bis Ende 2013 die durchschnittlichen Finanzierungsanteile des Bundes aus dem Referenzzeitraum 2000 ¿ 2008 weitergezahlt werden. Das schafft mehr Planungssicherheit als wir vorher hatten. Es wird von uns selbst abhängen, wie wir in einem solchen Wettbewerb abschneiden. Wenn wir in jeder Legislaturperiode aus ideologischen Gründen grundsätzliche Bildungsstrukturen immer wieder ändern, werden wir verlieren und den eigenen Kindern schaden. Auch das beste System braucht Zeit, um sich bewähren zu können. Nach den letzten Reformen sind wir jetzt gut aufgestellt und brauchen den Wettbewerb mit anderen nicht zu fürchten. Auch für die Hochschulen haben wir bereits mit einer kooperativen Strukturreform und einem gemeinsamen Wissenschaftszentrum die Voraussetzungen für einen Wettbewerb mit anderen geschaffen. Für die Teilnahme an Exzellenzprogrammen brauchen wir noch innovative Formen der Zusammenarbeit. Über das Wissenschaftszentrum des Landes wären sie organisierbar, wenn die einzelnen Einrichtungen ihrerseits zu einer intensiveren Zusammenarbeit bereit sein werden. Die strukturellen Voraussetzungen dazu sind geschaffen. Wir sind gut aufgestellt im Bereich der alternativen Energieerzeugung, sowohl der Photovoltaik als auch aus nachwachsenden Rohstoffen. Für die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes wäre es sinnvoll, unsere wissenschaftlichen und ingenieurtechnischen Potentiale auf die Effizienzverbesserung und Kostensenkung im Bereich alternativer Energieerzeugung zu konzentrieren. Das sind absolute Zukunftstechnologien. Das Land, das in diesem Bereich als erstes marktführende Produzenten hat, kann einen erheblichen Standortvorteil daraus machen. Wird sind ebenfalls gut aufgestellt im Bereich der Landwirtschaft und der Ernährungsgüterindustrie. Durch die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems, durch marktgesteuerte Kundenorientierung und durch zunehmende Bioenergiegewinnung sind wir in diesem Bereich auf die Herausforderungen des europäischen Binnenmarktes vorbereitet. Die Produktivität pro Arbeitsplatz ist in dieser Branche im bundesweiten Vergleich am höchsten. Es verwundert deshalb nicht, dass unsere Landwirte bundesweit im letzten Jahr die höchsten Einnahmen je Betrieb hatten. Das trifft mit geringen Einschränkungen auch zu auf die chemische Industrie. Besonders in diesem Bereich ist die Produktivität pro Arbeitsplatz in Sachsen-Anhalt höher als im Bundesdurchschnitt. Wir haben hochmoderne Arbeitsplätze, aber leider noch zu wenig davon. Während man vor zehn bis zwölf Jahren in der chemischen Industrie noch mit einer Kapitalinvestition von ca. 1 Million DM pro neuen Arbeitsplatz rechnen musste, sind es gegenwärtig mehr als 1 Million Euro. Im Vergleich zu den großen internationalen Konzernen sind unsere Standorte noch klein. Durch Einfluss auf die Rahmenbedingungen versuchen wir ihnen zu helfen, selbst zu wachsen. In einem von uns mit initiierten Verband der Chemieregionen der EU hat Sachsen-Anhalt gegenwärtig den Vorsitz. Im Zusammenhang mit der Diskussion zu den so genannten REACH-Vorschriften ist es gelungen, den eigenen Chemiestandort vor Überregulierung zu bewahren. In den anderen Wirtschaftszweigen haben wir in den letzen Jahren durchaus aufgeholt, sind aber im Länderranking noch nicht über Mittelfeldpositionen hinaus gekommen. Nur wer weiß, wo wir vor vier Jahren standen, weiß auch, dass wir uns deutlich verbessern konnten. Die Auswirkungen unserer Arbeit auf den Arbeitsmarkt beginnen erkennbar zu werden. Sachsen-Anhalt ist nicht mehr das Land mit der höchsten Arbeitslosigkeit und hat alle Chancen, das auch nicht mehr zu werden. Trotzdem sind wir noch lange nicht zufrieden. In den letzten Monaten haben wir bundesweite Aufmerksamkeit gefunden mit innovativen Arbeitsmarktprojekten auf der Grundlage der gegenwärtigen Gesetzgebung. Ich beobachte mit Interesse, wie immer mehr Länder mit geringen Variationen dies nachmachen und als bundesweite Neuerung anbieten. Dadurch ist eine bundesweite, zum Teil sehr grundsätzliche Diskussion über Reformen in der Arbeitsmarktpolitik in Gang gekommen, an der wir uns mit eigenen Erfahrungen beteiligen. Zunehmend setzt sich die Erkenntnis durch, dass es zwischen dem geschützten, mit Sozialtransfer finanzierten, nicht nachfrageregulierten Arbeitsmarkt einerseits und dem freien, tariffinanzierten, wettbewerbs- und nachfrageorientierten Arbeitsmarkt andererseits einen Zwischenbereich geben muss. Das wäre dann ein teils tarif- und teils transferfinanzierter und so gestützter, gemeinwohlorientierter und dadurch wirtschaftsferner Arbeitsmarktbereich. Mehrere Länder suchen gegenwärtig dafür nach Umsetzungsmodellen. Zwangsläufig muss dabei die Frage entschieden werden, welchen Mindesttarif der Arbeitgeber leisten muss als Eigenanteil des Trägers solcher Maßnahmen, und ab welcher Einnahmenhöhe die Stützung durch Sozialtransfers aufhören muss. In diese, sehr grundsätzliche Diskussion, können die neuen Bundesländer eigene Erfahrungen einbringen. In die Infrastrukturentwicklung des Wirtschafts- und des Wissenschaftsstandortes, in die Bildungs- und die Arbeitsmarktpolitik haben wir viel Geld investiert. Inzwischen sind wir aber das Flächenland mit den höchsten Pro-Kopf-Ausgaben im Haushalt und mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung. Dieses statistische Ergebnis ist nur zum geringeren Teil durch die abnehmende Einwohnerzahl bedingt. Ich bin mir sicher, dass bei zukünftigen Haushaltsberatungen Benchmarkingvergleiche zwischen den Ländern wichtiger sein werden als eloquent vorgetragene Ressortforderungen. Das Saarland hat beim Bundesverfassungsgericht geklagt, um die Fortsetzung von Bundesergänzungssonderzuweisungen zu erzwingen. Die Stellungnahme der anderen Landesregierungen dazu sollte zur Pflichtlektüre derjenigen werden, die sich mit Haushaltsfragen beschäftigen. Die bevorstehenden Föderalismusgespräche zur innerdeutschen Finanzstruktur werden sich bis in jedes Parlament auswirken. Wenn in einem anderen Land gleiche oder sogar bessere Ergebnisse, mit geringerem Finanzierungsaufwand erzielt werden, dann ist das kein Finanzproblem mehr, sondern ein Struktur- oder ein Organisationsproblem. Wenn dann daraus die richtigen Konsequenzen gezogen werden, erweist sich der föderalistische Aufbau der Bundesrepublik als ein lernendes und sich selbst optimierendes System, das einem zentralistischen Staatsaufbau überlegen ist. Wir müssen die Chancen nutzen, die in einem solchen System liegen. Bei fast allen Reformen der letzten Jahre haben wir immer geprüft, welche Erfahrungen andere Länder - mit im einzelnen anderen Regelungen ¿ gemacht haben. Das werden wir sowohl auf die Haushaltsstrukturen als auch auf die Haushaltsansätze ausdehnen. Mit der Neuordnung der Programme für die nächste Förderperiode der EU schaffen wir die Voraussetzungen für eine noch effektivere und zielgenauere Förderung von Wachstum und Beschäftigung, als dies im laufenden operationellen Programm möglich ist. Mit mehreren Verwaltungs- und Strukturreformen haben wir unser Land für die Lösung zukünftiger Aufgaben zukunftsfähig aufgestellt. Nach der organisatorischen Umsetzung der Kreisgebietsneugliederung wird in einer zweiten Phase der Verwaltungsreform über die Zuordnung von Aufgaben auf die kommunalen Ebenen neu entschieden werden. Dabei werden wir die modernen Möglichkeiten eines internetbasierten, interaktiven Landesportal ebenso berücksichtigen wie die verwaltungstechnische Kosteneffizienz. Bisher haben sich 17 Kreise dem Landesportal angeschlossen. Die Übrigen arbeiten daran. Die modernen Technologien ermöglichen es, dass Land gleichmäßig zu entwickeln. Raumordnerische Schwerpunkte wird es immer geben; auch innerhalb des Landes soll jede Region ihre Individualität behalten. Es macht Sinn, bei der Wirtschaftsförderung branchenspezifische Schwerpunkte zu begünstigen. Aber es macht keinen Sinn, Wirtschaftsförderung auf wenige Zentren zu konzentrieren, andere Regionen des Landes ausbluten zu lassen und dann mit neuen Förderprogrammen diese Regionen wieder reaktivieren zu wollen. Bei allen Sorgen, die wir noch im Land haben, soll keine Gemeinde und keine Person den Eindruck haben, sie wäre von zukünftigen Entwicklungen abgeschnitten. Am Ende seiner vierten parlamentarischen Legislaturperiode hat Sachsen-Anhalt noch fast alle für die neuen Länder in Deutschland typischen Folgeprobleme eines grundsätzlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformationsprozesses. Und wir haben die typischen Selbstfindungsprobleme eines jungen Bundeslandes ohne eigene historische Tradition. Diesen Prozess haben ältere Länder in Deutschland bereits hinter sich. Er wird bei uns nicht anders verlaufen. Wir haben uns gegenseitig in den letzten Jahren bewiesen, dass wir erfolgreich sein können, wenn wir die richtigen Prioritäten setzen. Es ist eine altbekannte Erfahrung, dass Entscheidungen in der Wirtschaft zu 50 % einen psychologischen Hintergrund haben. Wenn es uns darum geht, Sachsen-Anhalt als Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort mit kulturhistorisch interessanten Hintergrund und mit nachhaltigkeitsorientierten ökologischen und familienfreundlichen, sozialen Rahmenbedingungen aufzubauen, dann sollten wir dies berücksichtigen. Investoren werden nur dort hingehen, wo die Rahmenbedingungen für das betriebswirtschaftliche Risiko für sie kalkulierbar und das Vertrauen in die eigene Zukunft erlebbar ist. Das trifft ebenso zu auf die individuelle Einzelentscheidung vieler Menschen in unserem Land. Solange wir noch keine wenigstens ausgeglichene Wanderungsbilanz haben, solange haben diese Probleme eine gestaltungspolitische Dimension von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Menschen und Betriebe werden sich dort niederlassen, wo sie Vertrauen in die Zukunft haben. Menschen brauchen Vertrauen in die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze und Arbeitgeber brauchen Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Arbeiter und die Fähigkeiten der rahmensetzenden Politik. Nicht nur der Einzelne, auch politische Gemeinschaften und ganze Länder müssen sich selbst wollen und bejahen, wenn sie sich und anderen Vertrauen in die Zukunft vermitteln wollen. Ein Land, das sich selbst aufgibt, kann weder Einzelnen noch Institutionen Vertrauen in die Zukunft vermitteln. Sachsen-Anhalt hat seit seiner Wiedergründung eine sehr schwierige Entwicklung hinter sich. Dies und die gemeinsamen ersten Erfolge machen uns zu einer Schicksalsgemeinschaft, aus der heraus sich eine eigene Identität zu entwickeln beginnt. Im Gegensatz zu alten und manchen neuen Ländern sind wir erst dabei, den partiellen Staatscharakter unseres eigenen Landes zu begreifen. Die Umsetzung der Ergebnisse der Föderalismuskommission, unser gemeinsames Schicksal und unsere gemeinsamen Erfolge werden uns dabei helfen. Sie begründen das Vertrauen in die Zukunft unseres Landes. Wir schulden unserem Land die Förderung und Entwicklung eines Wir-Gefühls. Eigene Verzagtheit darf nicht dazu führen, dem ganzen Land seine Zukunftsfähigkeit abzusprechen. Die Menschen in unserem Land hätten es nicht verdient, wenn gerade wir als ihre gewählten Vertreter ihnen die Zukunftsfähigkeit bestreiten würden. Das Vertrauen in die gemeinsame Fähigkeit, erkennbare Probleme auch zu lösen, begründet unser Vertrauen in die Zukunft unseres Landes und der Menschen, die hier leben. Impressum: Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt Pressestelle Hegelstraße 42 39104 Magdeburg Tel: (0391) 567-6666 Fax: (0391) 567-6667 Mail: staatskanzlei@stk.sachsen-anhalt.de
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