Regierungserklärung von Ministerpräsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer zum Thema ?Sachsen-Anhalt, das jüngste aller Bundesländer?!
Staatskanzlei - Pressemitteilung Nr.: 332/10 Staatskanzlei - Pressemitteilung Nr.: 332/10 Magdeburg, den 17. Juni 2010 Regierungserklärung von Ministerpräsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer zum Thema ¿Sachsen-Anhalt, das jüngste aller Bundesländer¿! Es gilt das gesprochene Wort! In diesem Jahr, in dem wir so viele Anlässe haben, uns gegenseitig zu erinnern, will ich in Vorbereitung des 20. Jahrestages der Wiedervereinigung der beiden deutschen Teilstaaten auch daran erinnern, dass vor genau zwanzig Jahren die letzte Volkskammer der DDR das Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern beraten und am 22. Juli 1990 verabschiedet hat. Damit ist auch unser Land Sachsen-Anhalt wieder gegründet worden. Es war allerdings deutlich kleiner als das 1952 aufgelöste. Vorausgegangen waren umfangreiche Diskussionen im Ausschuss für Verfassung und Verwaltungsreform der Volkskammer. Über 2000 Vorschläge und Anregungen aus den einzelnen Regionen und Modelle, die die Bildung von zwei bis elf Ländern beinhalteten, lagen vor. Aus 15 Kreistagen gab es Voten, die z. T. deutlich von den Ergebnissen von Bürgerbefragungen oder den Stellungnahmen einzelner Städte aus diesen Kreisen abwichen. Mehrere Kreise, die bis 1952 zum damaligen Sachsen-Anhalt gehörten, entschieden sich als Folge der Zuordnung zu anderen Verwaltungsbezirken für ein anderes Land, der zu Brandenburg gedachte Kreis Jessen votierte als einziger für Sachsen-Anhalt. Aus übergeordneten Gründen musste der Gesetzgeber mehrfach von den Ergebnissen der Volksbefragungen ¿ die keine Volksentscheide waren ¿ abweichen. Das hat zu langen demokratietheoretischen Diskussionen in den Ausschüssen der Volkskammer geführt. Das Ergebnis sind die sogenannten neuen Bundesländer in der heutigen Form. Es war die Volkskammer der DDR, die die Länder als föderative Strukturen mit eigenem Staatscharakter wieder geschaffen hat. Die Verteilung der Gesetzgebungsbefugnis zwischen der Republik und den Ländern entsprach weitgehend den Strukturen des Grundgesetzes der Bundesrepublik. Die Bezeichnung als neue Länder kam erst später auf. Sie ist historisch falsch und eine einseitige Sicht der westlichen Länder. Neben den alten, historisch gewachsenen Ländern wie Brandenburg, Bayern oder Sachsen sind die meisten der gegenwärtigen Länder erst nach dem zweiten Weltkrieg entstanden, nachdem die Alliierten auf der Zerteilung Preußens bestanden. Damals wurden die Länder Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und auch Sachsen-Anhalt gegründet. 1952 kam dann Baden-Württemberg dazu. Unsere weitere Entwicklung war eine völlig andere. An einem Tag wie dem heutigen, einem 17. Juni, muss an ein Ereignis aus der damaligen Zeit erinnert werden: Auf der II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 wurde der ¿planmäßige Aufbau des Sozialismus in der DDR¿ beschlossen. Dazu gehörte die Kollektivierung der Landwirtschaft und im Handwerk sowie die strikte Zentralisierung des Staatsgefüges. Die Länder wurden aufgelöst und neue Verwaltungsbezirke geschaffen. In der SED begann die Säuberung von Oppositionellen und der ideologische Kampf gegen den sogenannten Sozialdemokratismus. Den Arbeitermassen sollte klar gemacht werden, dass eine Entwicklung zum Sozialismus eine ¿unglaubliche Steigerung der Produktivität der Arbeit¿ notwendig mache. Nach Normerhöhungen für die Bauarbeiter auf der Berliner Stalinallee kam es am 17. Juni 1953 zu Protestaktionen. Diese breiteten sich schnell aus und erfassten fast alle Regionen der DDR. Diese Proteste richteten sich dann auch gegen die politische Führung. Sie wurden als ¿faschistische Provokation¿ diffamiert und von sowjetischen Panzern niedergewalzt. Erst die Aufarbeitung der Ereignisse und die Verurteilung derjenigen, die mehr Freiheit und Demokratie gefordert hatten, als ¿Handlanger der Imperialisten¿ machte erkennbar, dass die damaligen Aktionen auch ein Aufbegehren gegen staatliche Diktatur und für mehr Freiheitsrechte waren. Einige haben dies mit ihrem Leben bezahlt; etwa 2500 mit langjährigen Zuchthausstrafen. Daran auch nach 57 Jahren an einem 17. Juni zu erinnern, sollte uns eine Verpflichtung sein. Nach 40 Jahren deutscher Teilung und einer völlig anderen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung kamen wir 1990 wieder in die Gemeinschaft jener Länder, die etwa zeitgleich mit dem unsrigen gegründet wurden. Nur weil wir im Gegensatz zu den anderen damaligen Neugründungen 1952 wieder aufgelöst wurden und uns dadurch fast vierzig Jahre gemeinsamer Vergangenheit fehlen, sind wir heute von allen Bundesländern das jüngste. Das ist nicht ohne Bedeutung für die Gegenwart. Die einzelnen Landschaften oder Regionen unseres Landes haben eine völlig unterschiedliche Geschichte und gehörten unterschiedlichen, z. T. mehrfach wechselnden politischen Strukturen an. Ein solches Gemeinschaftsgefühl, wie man es aus den Formulierungen wie ¿wir Sachsen¿, ¿wir Bayern¿ oder auch ¿wir Thüringer¿ oder ¿wir Brandenburger¿ heraushören kann, konnte sich bei uns nicht entwickeln. Anhalt war zu klein und in unterschiedliche Herrschaftshäuser zersplittert. Die Provinz Sachsen gehörte zu Preußen, war in sich sehr heterogen und entwickelte niemals eine emotionale Identität. Das langsame Zusammenwachsen unterschiedlicher Landsmannschaften in allen nach dem zweiten Weltkrieg neu geschaffenen deutschen Ländern ist noch nirgends völlig gelungen. Bei uns hat dieser Prozess erst 1990 begonnen. Zwanzig gemeinsame Aufbaujahre können zwar nicht Jahrhunderte gemeinsamer Geschichte ersetzen, zeigen aber doch Wirkung. Im Auftrage des MDR befragte infratest dimap seit 1995 Sachsen-Anhalter nach ihrem Verbundenheitsgefühl mit ihrem Heimat-Bundesland. Von zunächst etwa 40 % waren es in diesem Jahr 76 %, die sich mit ihrem Land stark oder sehr stark verbunden fühlten. Gemeinsam durchlebte Schwierigkeiten und gemeinsame Erfolge haben uns zusammengeschweißt und zur Entwicklung einer emotionalen Landesidentität geführt. In der Aufbruchstimmung des Jahres 1990 sind spontane lokale Fördervereine entstanden, die das ehrenamtliche bürgerschaftliche Engagement zum Aufbau ihrer Heimatregion bündelten. Ich nenne beispielhaft den Verein Kulturlandschaft Haldensleben Hundisburg oder den Verein zum Erhalt der Cranach-Häuser, der sich zur Cranach-Stiftung entwickelt hat, oder Fördervereine wie der ¿Industrie- und Filmmuseum Wolfen e. V.¿ oder den ¿Verein zur Rettung und Erhaltung der Neuenburg.¿ Ohne eigene Finanzmittel, aber mit viel Begeisterung wurden Arbeiten begonnen, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu beachtlichen Erfolgen geführt haben, aber noch lange nicht erledigt sind. Dieses gemeinsame Engagement an vielen Stellen unseres Landes war von Anfang an ein Bekenntnis zur eigenen Heimat und hat ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen und wachsen lassen. Für uns alle, die wir in diesem Land politische Verantwortung tragen, sollte die Förderung dieser Entwicklung wichtig sein und wichtig bleiben. Für die Bewältigung der erkennbaren Probleme und Aufgaben während der nächsten Jahre wird jede Regierung auf das Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl im Land angewiesen sein. Dabei geht es um die Konsequenzen aus dem Defizit an Menschen und dem Defizit an eigener Steuerkraft. Während der vergangenen zwanzig Jahre nach der Wiedergründung unseres Landes haben sich in Sachsen-Anhalt erhebliche soziologische Veränderungen vollzogen. Der durch die Wiedervereinigung Deutschlands begonnene Transformationsprozess hat in allen sogenannten neuen Ländern zu enormen demografischen Folgen und Konsequenzen geführt. Die Einwohnerzahl in Sachsen-Anhalt ist von 1991 bis 2007 um mehr als 17 % gesunken; etwa doppelt so stark wie im Durchschnitt aller neuen Länder. Die Zahl der Erwerbstätigen ist im gleichen Zeitraum um 22 % gesunken, die Zahl der unter 18-jährigen hat sich in diesem Zeitraum halbiert. Ursache ist sicher die über viele Jahre höchste Arbeitslosigkeit unter allen deutschen Ländern. Der Bevölkerungsschwund der vergangenen Jahre war zu 56 % durch Wanderungsverluste und zu 44 % durch ein Geborenendefizit verursacht. Die Zeit, in der wir um Ausbildungsplätze gerungen haben, ist vorbei. Erkennbar ist ein beginnender Mangel an technischen Facharbeitern, der sich in den nächsten Jahren verstärken wird. Die Projekte, durch die Auspendlern ein entsprechender Arbeitsplatz im Land angeboten wird, zeigen erste Erfolge. Voraussetzung ist eine gleich hohe Entlohnung wie in den westdeutschen Ländern. Solange die nicht gezahlt wird, braucht kein Arbeitgeber sich bei der Landesregierung wegen mangelnder Facharbeiter zu beklagen. Was an Qualifizierungsmöglichkeiten organisierbar war, haben wir getan. Die fünfte regionalisierte Bevölkerungsprognose errechnet für uns einen weiteren Rückgang der Bevölkerung bis 2025 um etwa 20 % auf dann unter 2 Mio. Einwohner. Der weitere Rückgang in dieser Zeit wird zu 84 % durch ein Geborenendefizit verursacht sein. Gegenwärtig sterben jährlich etwa doppelt soviel Bewohner wie Geborene neu hinzukommen. Ein minimaler Anstieg der Fertilitätsrate ist unbedeutend, weil durch die hohen Wanderungsverluste nahezu die Hälfte der zukünftigen Müttergeneration dem Land verloren gegangen ist. Nach den Prognoseberechnungen wird der Anteil der Erwerbstätigen in unserer Bevölkerung bis 2025 auf 35 % sinken. Alle umlagefinanzierten sozialen Sicherungssysteme können dann nur noch funktionieren, wenn sie von außen subventioniert werden. Wer die gegenwärtige Diskussion über eine Regionalisierung im Gesundheitsfonds verfolgt, weiß, welche Probleme unserem Land drohen. 54 % der Bevölkerung werden dann älter als 50 Jahre sein. Welche Anpassungsstrategien das für die soziale Infrastruktur bedeutet, wird inzwischen vielfach diskutiert. Während der letzten zwanzig Jahre haben sich soziologische Entwicklungen vollzogen, die die sozialen Strukturen nachhaltig verändert haben. Die Anzahl der Familien mit Kindern hat von 1991 bis 2007 um 31 % abgenommen, die Häufigkeit der Lebensgemeinschaften ohne Kinder hat um ein Drittel zugenommen. Die Anzahl der Kinder bis zum 18. Lebensjahr hat sich halbiert. Die Häufigkeit unehelich geborener Kinder ist von 15 % auf 63 % gestiegen. Obwohl die Häufigkeit der Eheschließungen deutlich gesunken ist, ist die Scheidungsquote auf etwa 55 % gestiegen. Die Unterhaltsvorschusszahlungen des Landes sind kontinuierlich angestiegen, obwohl die Bruttolöhne und ¿gehälter je Arbeitnehmer von 1991 bis 2007 um 97 % gestiegen sind. Unsere Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz sind die vierthöchsten im Bundesvergleich und umgerechnet pro Einwohner etwa dreimal so hoch wie in Bayern. Die Rückforderungsergebnisse der Kreise schwanken zwischen 10 ¿ 20 % der ausgegebenen Summe. Die soziologischen Familienstrukturen in Sachsen-Anhalt entsprechen statistisch etwa den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen. Soweit als möglich versuchen wir dieser demografischen Entwicklung mit einer Gegenstrategie zu begegnen. Dabei ist nach der Erfahrung aus den letzten zwanzig Jahren das Angebot gut bezahlter Arbeitsplätze noch wichtiger als eine hohe Quote außerfamiliärer vorschulischer Kinderbetreuung. Wie wichtig die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist, muss uns niemand erläutern. Trotzdem ergeben Befragungen immer wieder, dass bei jungen Menschen der Wunsch nach Kindern größer ist als er dann verwirklicht wird. Als Ursache werden nicht selten eine existentielle Unsicherheit und die Sorge um den Arbeitsplatz angegeben. Wenn wir wollen, dass wieder mehr Kinder geboren werden, müssen wir uns nicht nur um familienfreundliche Arbeitsmöglichkeiten sorgen, sondern mehr existentielle Lebenssicherheit durch individuelle Risikoverminderung ermöglichen. Der übliche Ruf nach mehr Bildung wird nur nützen, wenn die angebotenen Chancen auch angenommen werden. Ansonsten werden wir uns mit einer breit gefächerten Anpassungsstrategie durch strukturelle Reformen und Umbau der sozialen Infrastruktur darauf vorbereiten müssen, dass wir an Zahl weniger und die wenigeren immer älter werden. Dafür haben wir in Vorbereitung der IBA 2010 während der letzten Jahre schon viel getan. Viele notwendige strukturelle Anpassungen haben wir in den vergangenen zwei Jahrzehnten durchgeführt. Dazu gehörten einzelne Verwaltungsstrukturreformen, zwei Kreis- und eine Gemeindegebietsreform und weitere Infrastrukturanpassungen. Für jede einzelne musste um Verständnis geworben werden. Wir haben damit unser Land auf die erkennbaren Forderungen der Zukunft vorbereitet. Da unser zweites großes Problem das Defizit an Geld ist, will ich noch einmal darauf hinweisen, dass der horizontale Steuerausgleich an der Einwohnerzahl orientiert ist. Mit jedem Einwohner verlieren wir jährlich ca. 2500 ¿, das sind 65 ¿ 70 Mio. jährlich durch die sinkende Einwohnerzahl. Wenn wir zum Stichtag 30. Juni 2007 noch die gleiche Einwohnerzahl gehabt hätten wie 1991, hätten wir im Rahmen des Finanzausgleichs etwa 800 Mio. ¿ mehr Einnahmen gehabt. Diese Entwicklung addiert sich zu den sinkenden Solidarpaktmitteln und setzt sich fort. Über globale Finanzpolitik einerseits und die Haushaltslage im Euro-Raum, in der Bundesrepublik oder bei uns in Sachsen-Anhalt war in der letzten Zeit viel die Rede. Mit den unterschiedlichen Strategien und mit der Konkurrenz zwischen den einzelnen Währungsräumen müssen wir uns nicht befassen. Wir haben erlebt und gelernt, dass Staaten oder Regionen mit eigenem Haushalt umso gefährdeter sind, je mehr sie verschuldet und auf Kredite angewiesen sind. Jede notwendige Umschuldung wird zum Risiko, wenn durch Verunsicherung der Rückzahlungsgarantie oder aus anderen Gründen der Zinssatz steigt. Wir haben im Haushalt 2010 798 Mio. ¿ und für 2011 834 Mio. ¿ Ausgaben für Zinsen eingeplant. Sollte ¿ und sei es als Folge verbesserter wirtschaftlicher Dynamik ¿ der Zinssatz um etwa 2 % steigen, würde das für uns in 2011 Mehrausgaben für Zinsen von ca. 120 Mio. ¿ bedeuten. Die Mehrausgaben würden sich in den Folgejahren erhöhen, da in 2011 nur ein Teil der Verbindlichkeiten umgeschuldet werden müssen. Hätten wir andererseits nur einen Schuldenstand wie das Nachbarland Sachsen, stünden uns bereits in diesem Jahr mehr als 600 Mio. ¿ an reinen Landesmitteln zusätzlich zur Verfügung. Wir sollten uns dies nicht gegenseitig vorwerfen, denn an der Kreditaufnahme waren wir alle schon beteiligt. Deshalb ist es besser, gemeinsam in der gegenwärtigen Situation nach Wegen zu suchen, so schnell als möglich wieder zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen. In den vergangenen zwanzig Jahren hat die jeweilige Opposition von der amtierenden Regierung eine solide Haushaltspolitik angemahnt und bei Einsparplänen die drohende Katastrophe ausgerufen. Auch bei unterschiedlicher parteipolitischer Prioritätensetzung sollten wir die grundsätzliche Tatsache respektieren, dass wir unser Land nur durch Haushaltskonsolidierung zukunftsfähig machen können. Einen dritten Solidarpakt wird es nicht geben und wie der nach 2019 neu strukturierte innerdeutsche horizontale Finanzausgleich aussehen wird, weiß heute noch niemand. Wenn ich die Zeichen richtig deute, werden die drei Länder, die heute noch richtige Geberländer sind, das nicht auf Dauer bleiben wollen. Als eines der Länder, die einen im Grundgesetz fixierten Anspruch auf eine zeitlich befristete Konsolidierungshilfe haben, werden wir zukünftig unter besonderer Beobachtung des Stabilitätsrates und der anderen Länder stehen. Um unsere eigene Haushaltshoheit nicht zu verspielen, sollten wir uns darauf vorbereiten und eigene Konsolidierungswege entwickeln. Der Finanzminister wird Ihnen dazu Vorschläge vorlegen. Dabei kann es auch ¿ aber eben nicht nur ¿ um die Kürzung von Ausgaben gehen, sondern um strukturelle Änderungen zur Effizienzverbesserung der eingesetzten Mittel. Wir werden den Landeshaushalt nicht in absehbarer Zeit auf Doppik umstellen können. Die dadurch erhoffte Transparenz lässt sich wenigstens teilweise auch anders erreichen. Denkbar sind - die unternehmerische Ausrichtung und Bilanzierung nicht nur von Landesbetrieben sondern auch von abgrenzbaren Bereichen der Landesverwaltung - zunehmende Budgetierung mit Kosten-Leistungs-Rechnung und Zielvereinbarungen über Leistungsaufträge auch für Einzelbereiche der Verwaltung - Entwicklung eines Ressourcenverbrauchskonzeptes für langlebige Investitionen zusammen mit der Bauverwaltung. Mit einer auf diese Weise erweiterten Kameralistik müsste es möglich sein, das gegenwärtige strukturelle Defizit um jährlich 10 % zu reduzieren. Unsere Ausgabenansätze für 2009 lagen durchschnittlich knapp ein Viertel über dem Durchschnitt aller Länder und etwa ein Drittel über dem Niveau der finanzschwachen Flächenländer West. Jeder sechste Euro aus den eigenen Steuereinnahmen floss in die Tilgung von Zinsen. Es dürfte unstrittig sein, dass dieser Entwicklung gegengesteuert werden muss. Dabei halte ich es für notwendig und machbar, das jeder abgrenzbare Bereich, der mit weniger Mitteln auskommen muss, unter Nutzung der Möglichkeiten unserer Landeshaushaltsordnung eine größere eigene Entscheidungsbefugnis über die innere Verwendung der Finanzmittel bekommt. An der internationalen Diskussion über die besten Wege aus der Krise müssen wir uns nicht beteiligen. Die Amerikaner behaupten, dass sie aus ihrer hohen Verschuldung nur herauskommen durch noch höhere Schulden zur Ankurbelung der Binnennachfrage. Den Beweis dafür haben sie noch niemals erbracht. Bestenfalls haben sie durch gezielte Absenkung der von ihnen gesteuerten Leitwährung ihre Wirtschaft über den Export begünstigt. Wenn es denn zutreffen würde, müssten wir in Deutschland das Land mit der erfolgreichsten Wirtschaft sein. In Wirklichkeit geht es denen besser, die sich nicht so hoch verschuldet haben wie wir. Damit bleibt uns nur übrig, die eigene Zinslast zu senken und damit zu beginnen, bevor die Reduzierung der Finanzhilfen beginnt. Wenn dann vom Sparen die Rede ist, erklären wir uns gegenseitig, wie wichtig für die Zukunftsgestaltung Bildung sei. Das wissen wir schon lange und haben uns auch daran gehalten. Nach dem vom Finanzminister in Auftrag gegebenen Finanzstatistischen Report mit Ländervergleich wissen wir, dass wir unter allen Flächenländern in Deutschland die höchsten Ausgaben für Bildung pro Einwohner unterhalb des 30. Lebensjahres vorweisen können. Nach der Zentralen Datenstelle der Länder haben wir bereits 2005 6,21 % unseres BIP für Bildung ausgegeben. Damit lagen wir damals schon über dem Durchschnitt der Länder, der damals bei 4,28 % lag. Bei den Ausgaben für Hochschulen liegen wir etwa im Durchschnitt aller Länder. Allerdings liegen wir bei den privaten Forschungsausgaben ganz hinten. Es wird nicht möglich sein, dieses Defizit in der regionalen Wirtschaft mit öffentlichen Mitteln zu kompensieren. Dies auszugleichen und an die Durchschnittswerte der westlichen Flächenländer heranzuführen, muss ein wichtiger Akzent zukünftiger Wirtschaftsförderung sein. Wir können unserer, noch viel zu kleinteiligen Wirtschaft zugute halten, dass wir ohne größere Einbrüche durch die letzte Wirtschaftskrise gekommen sind. Die angemeldete Kurzarbeit wurde nur zu einem geringen Teil in Anspruch genommen. Die Arbeitslosenquote hat sich nur im Umfang saisonaler Schwankungen bewegt und ist insgesamt gesunken. Für Liquiditätsprobleme haben wir eine Bürgschaft von 40 Mio. ¿ zur Verfügung gestellt. Sie wurde zwar größtenteils gebunden, aber bisher ist noch kein Bürgschaftsfall eingetreten. Beim Vergleich mit den anderen Bundesländern gibt es noch eine ganze Reihe von statistischen Daten, bei denen wir einen der hinteren Plätze einnehmen. Kürzlich wurde bekannt, dass wir ¿ jeweils bezogen auf 100 T Einwohner ¿ die höchste Zahl an Todesfällen infolge eines Herzinfarktes aufweisen. Das ist insofern nicht überraschend, als wir auch die höchste Quote an übergewichtigen Männern und Frauen in unserem Land haben. Es gibt nicht wenige Folgekrankheiten dadurch, die dann natürlich unsere regionalen Gesundheitskassen überproportional belasten. Nach Angaben aus dem Deutschen Institut für Ernährungsforschung müssen bundesweit für die Folge- und Begleiterkrankungen der Übergewichtigkeit jährlich mehr als 13 Mrd. ¿ Behandlungskosten ausgegeben werden. Aus den demografischen Prognosen wissen wir, dass in den nächsten zwanzig Jahren der Anteil der Erwerbspersonen an der Gesamteinwohnerzahl deutlich zurückgehen und der Seniorenanteil überproportional steigen wird. Die Finanzprobleme in diesem Bereich werden unabwendbar schwieriger werden. Dieses und einige andere Probleme ließen sich nur durch eine Motivierung zu größerer Eigenverantwortung lösen. Das ist für alle neuen Bundesländer ein grundsätzliches Problem. Die gewollte Freiheit in einer offenen Gesellschaft verlangt von jedem Einzelnen ein größeres Engagement für Eigenverantwortung und für gesellschaftliche Mitverantwortung. Da wir die Fürsorge eines vormundschaftlichen Versorgungsstaates nicht mehr wollten, müssen wir uns dieser Situation stellen und dafür werben. Ich habe Verständnis dafür, dass manche Langzeitarbeitslose eine solche Aussage als Zumutung empfinden. Wenn wir ihnen ihr Selbstwertgefühl und die Bereitschaft zur Eigenverantwortung wiedergeben wollen, schulden wir ihnen nicht nur finanzielle Hilfe sondern ebenso auch Chancen zur Teilnahme am Zusammenleben. Deshalb werden wir die dafür geeigneten Angebote der Arbeitsverwaltung unterstützen und weiter ausbauen. Zwanzig Jahre nach der Wiedergründung unseres Landes bleibt noch viel zu tun. Unsere gemeinsame Aufbauarbeit ist noch nicht abgeschlossen. Es ist auf den Tag genau 57 Jahre her, dass die Bevölkerung in diesem Teil Deutschlands gegen fürsorgliche Bevormundung aufbegehrte, die sich damals schon mit dem Versprechen einer zukünftig besseren und gerechteren Welt zu legitimieren versuchte. Schon damals wurden mehr demokratische Mitspracherechte und mehr Freiheit für die Gestaltung des eigenen Lebens gefordert. Beides haben wir seit zwanzig Jahren. Jeder kann sich selbst fragen, was wir daraus gemacht haben. Die Antworten werden vorhersehbar in den einzelnen politischen Parteien sehr unterschiedlich ausfallen. Alle Parteien versprechen heute, um mehr Wohlstand für alle bemüht zu sein, um einen Buchtitel von Ludwig Erhard aus dem Jahr 1957 zu zitieren. Über den besten Weg zum Erreichen dieses Zieles streiten wir uns. Den Weg zur Finanzierung unserer Wünsche uns noch mehr Geld von den Banken zu leihen und unsere Kinder und Enkelkinder dann dafür arbeiten und Steuern zahlen zu lassen, diesen Weg haben wir schon überstrapaziert. Selbst wenn wir den eigenen Gürtel enger schnallen müssen und Leistungen des Landes kürzen müssten, sollten wir diesen Weg aus Gründen der Zukunftsgestaltung nicht weitergehen. Ein anderer Vorschlag besteht darin, zu sehen, wo noch etwas zu holen wäre und das dann mit gesetzlichem Zwang einzutreiben. Eigentlich leben wir schon davon und wir werden auch noch längere Zeit Nehmerland im innerdeutschen Finanzausgleich bleiben. Niemand wird die eigenen Wünsche finanzieren können mit Geld, das einzutreiben er keine Gesetzgebungskompetenz und keine parlamentarische Mehrheit hat. Wer es trotzdem verspricht, muss erklären, wie er es mit demokratischen Mitteln erreichen will. Von Heilsversprechungen, wie schön diese Welt sein könnte, wenn man sie sich erst Untertan gemacht hat, hatten die Menschen schon vor 57 Jahren genug. Am Ende bleibt nur der Weg, mit Selbstvertrauen auf die eigene Leistungskraft zu vertrauen und diese weiter aufzubauen. Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner in den jeweiligen Preisen ist bei uns von 1991 bis 2007 um 194 % gestiegen, im Durchschnitt der neuen Länder um 131 %. Die Bruttolöhne bzw. ¿gehälter sind bei uns von 1991 bis 2007 um 97 % gestiegen, im Durchschnitt der neuen Länder um 80 %. Wir müssen diesen Weg konsequent weiter gehen. Auch im schwierigen Wirtschaftsjahr 2009 wurden in unserem Land Investitionen für etwa 1,2 Mrd. ¿ realisiert. Die Sozialleistungsquote in Sachsen-Anhalt ist von 53,9 % im Jahr 2000 auf 42,4 % in 2008 gesunken und nähert sich langsam der bundesweiten Sozialleistungsquote von gegenwärtig 28,8 %. Wenn wir nicht das eigene Wohlbefinden zur obersten Entscheidungsmaxime erheben, sondern den weiteren Ausbau der Wirtschafts- und damit der Steuerkraft unseres Landes, dann hat Sachsen-Anhalt alle Chancen ein gleichwertiger Partner in der Gemeinschaft der deutschen Länder zu werden. Es liegt an uns, wie und wofür wir unsere Chancen nutzen. Bei der Begründung zur Wiedereinführung der Länder in der Volkskammer der DDR zitierte der Berichterstatter des Volkskammerausschusses mit Blick auf die ökonomischen Hoffnungen einzelner Regionen aus dem Freiheitsbüchlein des Dichters Johann Paul Richter, der sich selbst Jean Paul nannte: ¿Kein Land wird reich oder mächtig vielmehr das Gegenteil durch das, was es von außen hineinbekommt, sondern nur durch das alles, was es aus sich selbst heraus entwickelt und emportreibt.¿ Ich bin sicher, dass dieser Satz auch heute noch gilt. Impressum: Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt Pressestelle Hegelstraße 42 39104 Magdeburg Tel: (0391) 567-6666 Fax: (0391) 567-6667 Mail: staatskanzlei@stk.sachsen-anhalt.de
Impressum:
Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt
Pressestelle
Hegelstraße 42
39104 Magdeburg
Tel: (0391) 567-6666
Fax: (0391) 567-6667
Mail: staatskanzlei@stk.sachsen-anhalt.de