Antrag zur Aufnahme der Merseburger Zaubersprüche in das Weltdokumentenerbe
Sie sind die einzigen in Deutschland erhaltenen heidnischen Beschwörungsformeln: die Merseburger Zaubersprüche. Vor mehr als 1000 Jahren wurden sie von einem Mönch aufgeschrieben und erst 1841 in einer theologischen Sammelschrift des 9. und 10. Jahrhunderts in der Merseburger Domstiftsbibliothek wiederentdeckt. Die zwei Sprüche sind in althochdeutscher Sprache überliefert und geben magische Beschwörungsformeln aus vorchristlicher Zeit wieder. Der erste Spruch diente der Befreiung eines Gefangen, der zweite der Heilung eines verletzten Pferdefußes.
Das einzigartige Schriftdokument offenbart nicht nur die besondere Klangfülle althochdeutscher Sprache und hält heidnisch-germanisches Brauchtum fest, es ist auch das einzige bekannte althochdeutsche Sprachzeugnis, in dem Gestalten der germanischen Götterwelt (Wodan, Balder, Friia, Volla, Sunna, Phol, Sinhtgunt) agieren. Die Vereinigten Domstifter haben nun gemeinsam mit Privatdozent Dr. Wolfgang Beck vom Institut für Germanistische Literaturwissenschaft der Universität Jena einen Antrag vollendet, die Merseburger Zaubersprüche ins UNESCO-Weltdokumentenerbe eintragen zu lassen. Dieser Antrag wurde durch eine Förderung der Staatskanzlei und Ministerium für Kultur ermöglicht und am heutigen Tag zur Übergabe freigegeben.
„Die Merseburger Zaubersprüche sind ein unersetzliches Schlüsseldokument und integraler Bestandteil des deutschen und internationalen Kulturerbes. Ihr Wert für das Studium der Religion, der Sprache, der Literatur und der Magie kann kaum überschätzt werden“, schreibt Dr. Beck im Antrag. „Als eine der wenigen erhaltenen autochthonen Quellen der germanischen, vorchristlichen Religion und Kultur sind sie nicht nur für die germanische Religion selbst, sondern auch für die Epoche des kulturellen Wandels durch die Christianisierung Europas von hoher Aussagekraft. Als Relikt einer mündlichen Tradition, welches den kritischen Übergang zur Schriftlichkeit bewältigt hat, stehen sie am Anfang der schriftlich fixierten Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. In formaler Hinsicht sind sie nicht nur ein Beispiel für die Ästhetik des magischen Sprechens, sondern auch prototypischer Vertreter der Gattung ‚Zauberspruch‘ überhaupt.“
„Die Pflege und Weiterentwicklung unseres besonderen kulturellen Erbes ist eine Herzensangelegenheit“, so Rainer Robra, Staats- und Kulturminister des Landes Sachsen-Anhalt. „Die Merseburger Zaubersprüche sind ein einzigartiges Dokument, das sich gut in den Kanon unseres Welterbes einfügt. Daher unterstützen wir als Land die Bewerbung um die Anerkennung der Zaubersprüche als UNESCO-Erbe der gesamten Menschheit.“
Der Oberbürgermeister der Stadt Merseburg, Jens Bühligen, betont die überregionale Bedeutung der Zaubersprüche: „Die weit über unsere Grenzen hinaus bekannten Merseburger Zaubersprüche sind ein Teil des umfangreichen Kulturschatzes der Dom- und Hochschulstadt Merseburg. Mit einer Aufnahme in das UNESCO-Weltdokumentenerbe haben wir die große Chance, unseren geschichtsträchtigen Ort stärker in das Blickfeld der interessierten Besucher zu rücken.“
Stiftsdirektor Dr. Holger Kunde weiß um die Strahlkraft der Zaubersprüche. „Unsere Besucher sind zutiefst ergriffen, wenn sie die Zaubersprüche zum ersten Mal betrachten oder sie in einer Führung sogar zu Gehör bekommen. Ihre Magie geht weit über die eigentlichen Beschwörungsformeln hinaus. Die Zaubersprüche geben uns einen direkten Einblick in die Lebens- und Sprachwelt unserer Region vor 1000 Jahren.“
Der Antrag zur Aufnahme in das UNESCO-Weltdokumentenerbe (Memory of the World-Register) wird nun zuerst mit einem Begleitschreiben des Staats- und Kulturminister Rainer Robra an Prof. Dr. Joachim-Felix Leonhard von der Deutschen UNESCO-Kommission übergeben. Sollte der Antrag bewilligt werden, wird er an das Auswärtige Amt übergeben. Alle zwei Jahre können pro Land zwei Vorschläge zur Aufnahme in das UNESCO-Register des Weltdokumentenerbes eingereicht werden. Ein Internationales Komitee bestimmt daraufhin über die Aufnahme in das Weltdokumentenerbe. Dies könnte voraussichtlich 2024 oder 2025 erfolgen. In Deutschland gibt es bisher 24 Einträge, unter anderem die Himmelsscheibe von Nebra, das Nibelungenlied oder das Autograph der h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach.