Pressemitteilung: 562/2025
Magdeburg, den 16.12.2025

Regierungserklärung von Staatsminister und Minister für Kultur Rainer Robra zur Europapolitik im Landtagsplenum am 16. Dezember 2025

„Sachsen-Anhalt in Europa: Unsere Zukunft gemeinsam gestalten“

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

die letzte Regierungserklärung zu „Europa“ habe ich hier am 23. April 2024 anlässlich der Wahl zum Europäischen Parlament abgegeben. Aber die Europäische Union betrifft unser Leben ganz unmittelbar - an praktisch jedem Tag. Die europäische Gemeinschaft und die lebendigen, seit mehr als 20 Jahren gepflegten Verbindungen zu unseren Partnerregionen machen uns stärker, allerdings birgt die EU auch die Gefahr zu weitgehender Vereinheitlichung von Regeln und Lebensverhältnissen. Davor schützt uns nicht zuletzt das Subsidiaritätsprinzip, das intensiver als bisher gelebt werden muss. Wir brauchen nicht mehr, sondern deutlich weniger europäische Regulierung mit Konditionalitäten, die viel zu oft einen Kometenschweif von Berichtspflichten und bürokratischem Ballast hinter sich herziehen.

Und dennoch: Wir leben leider in keiner friedlichen Welt mehr; Russland hat die jahrzehntelange Friedensperiode nach dem mörderischen zweiten Weltkrieg in Europa durch einen neuen, irrsinnigen Krieg zerstört. Mögen die laufenden Verhandlungen der Ukraine endlich einen fairen und gerechten Frieden bringen!

Um die Herausforderungen in der neuen multipolaren Welt zu beherrschen, brauchen wir einen breiten proeuropäischen Konsens, das unerschütterliche Selbstverständnis, dass Europa unsere Zukunft ist und als Raum des Friedens, der Sicherheit und des Rechts gestaltet werden kann und muss, um Wohlstand für uns und künftige Generationen zu sichern.

Ich sage dies vor dem Hintergrund gravierender neuer Herausforderungen. So ist der aktuelle Zustand der transatlantischen Partnerschaft zwischen Europa und den USA besorgniserregend. Nach der neuen Sicherheitsstrategie der USA werden Europa und die EU offenbar nicht mehr als die engen Partner von einst gesehen. Es scheint, als ständen Europa mit seinen heterogenen Mitgliedstaaten und unser aller Sicherheit für die Weltmächte zur Disposition. Einseitige Zölle auf europäische Waren gefährden die internationalen Handelsbeziehungen. Die Europäische Kommission hat mit der Stärke der 27 EU-Mitgliedsstaaten im Rücken die Zoll-Verhandlungen geführt. Die den USA abgerungenen Zugeständnisse nützen auch Sachsen-Anhalt. Niemand weiß, wo das hinführt. In solchen Konflikten kann sich kein europäischer Staat allein behaupten, auch Deutschland nicht.

Sicherheit und Verteidigung sind nicht ohne Grund - natürlich in Verbindung mit der NATO -ein inhaltlicher Schwerpunkt der Europäischen Kommission und des neuen europäischen Kommissars für Verteidigung. Rüstungsproduktion soll gefördert und möglichst europäisch gestaltet und damit effizienter und resilienter werden. Wir begrüßen die Fördermöglichkeiten von solchen Gütern, von denen nicht zuletzt über das sog. Sondervermögens der Bundesregierung auch Unternehmen in Sachsen-Anhalt profitieren sollen. Das Drohnenzentrum in Cochstedt könnte als Nukleus für weitere Entwicklungen dabei eine besondere Rolle spielen. Das trägt unmittelbar auch zur Sicherheit in Sachsen-Anhalt bei.

Anrede,

noch vor wenigen Jahren hat niemand einen solchen Beitrag der EU zu unserer Verteidigung für notwendig gehalten; was jetzt geschieht, ist einmal mehr europäische Realpolitik. Damit dies auf europäischer Ebene funktioniert, braucht es Kompetenz, Engagement und klare Positionen für einen starken und vielfältige europäischen Verbund. Ideologische oder lebensfremde Standpunkte aus dem extremen rechten oder linken Spektrum machen uns angreifbar und abhängig von Drittstaaten, die es nicht gut mit uns meinen. Ich sage es ganz deutlich: wer vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Lage nationalistische Bestrebungen und eine Desintegration Europas betreibt, der hat entweder den Bezug zur Lebensrealität verloren oder die komplexen grenzüberschreitenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge nicht verstanden, die praktisch alle Lebensbereiche betreffen.

Anrede

Europapolitik erzielt in der Regel keine schnellen, sofort sichtbaren Erfolge. Aber wir halten fest: auch die EU hat ihre Lektionen gelernt. Aktuelle Beispiele sind die politische Einigung auf Änderungen am Europäischen Lieferkettengesetz, wonach insbesondere der Kreis der betroffenen Unternehmen deutlich verkleinert werden soll, oder die Zusage der Kommission, das sog. Verbrenner-Aus zu überarbeiten. Konkrete Vorschläge sind für heute angekündigt – erwartet wird ein Ansatz, der die Automobilindustrie entlastet und die Zulassung von hoch effizienten Verbrennern auch nach 2035 ermöglicht. Ferner haben sich die europäischen Innenminister in der Migrationspolitik auf strengere Regeln geeinigt. Hinweisen möchte ich auch auf zahlreiche Gesetzesvorhaben im Rahmen der Entbürokratisierungsinitiative der EU. In sog. Omnibus-Gesetzen werden gleichzeitig mehrere Verordnungen oder Richtlinien geändert, zum Beispiel in den Bereichen Landwirtschaft, chemische Industrie oder Digitalisierung. Wir begrüßen diese politischen Entwicklungen und haben uns über die uns zur Verfügung stehenden Mitwirkungsmöglichkeiten eingebracht.

Unsere Europapolitik ist auf der Grundlage ihrer strategischen Ausrichtung seit jeher auf Wirksamkeit für unser Land angelegt. Wir identifizieren, koordinieren und artikulieren unsere Landesinteressen und bringen sie zielführend ein. Das müssen wir zum Wohle von Sachsen-Anhalt kontinuierlich fortsetzen. Als Landesregierung werden Sie in den nächsten Tagen den LIV-Bericht über die europäischen und internationalen Aktivitäten der Landesregierung im Jahr 2026 erhalten, den das Kabinett heute beschlossen hat.

In der noch laufenden Legislaturperiode wurden in der Europaministerkonferenz, 2022/2023 unter unserem Vorsitz, über 40 Beschlüsse gefasst. Bei vielen hat sich Sachsen-Anhalt als Mitautor unmittelbar eingebracht, etwa „Für eine starke EU-Forschungs- und Innovationspolitik“, für „Vereinfachungen der europäischen Regulierung und Bürokratieabbau für eine wettbewerbsfähige Industriepolitik“ sowie wiederholt für Beschlüsse zum Thema Mehrjähriger Finanzrahmen ab 2028. Dabei war uns beispielsweise wichtig, für die Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen Planungssicherheit und Verlässlichkeit zu erreichen. Um den zwingend notwendigen Bürokratieabbau herbeizuführen, haben wir die EU-Kommission zu einer kohärenten Rechtsetzung durch Beseitigung von Überschneidungen und Widersprüchlichkeiten sowie zu einer Reduzierung von Regulierungen, Nachweispflichten und Auflagen aufgefordert.

Im selben Zeitraum wurden zudem gut 600 Drucksachen im EU-Ausschuss des Bundesrates auf die Einhaltung der Grundsätze von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit und fachlich-inhaltlich geprüft. Das sind Dokumente, die „aus Brüssel“ kommen und an denen die Länder über die verfassungsrechtlich geregelte Beteiligung mitwirken. Ich wollte, es wären weniger, denn vieles ist banal und letztlich einem überbordenden Regelungstrieb der Kommissionsbürokratie geschuldet. Alle diese Drucksachen werden koordinierend durch das Europaministerium aufbereitet und einer kohärenten Positionierung des Landes zugeführt. Sachsen-Anhalt hat sich aktiv an diesem Gesetzgebungsprozess beteiligt. Darunter waren u.a. die Strategie der EU zur Bekämpfung von Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens, Vorschriften für die Binnenmärkte für erneuerbare Gase und Erdgas sowie Wasserstoff, das Europäische Medienfreiheitsgesetz (EMFA), wiederholte Positionierungen gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und gerade jüngst zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU ab 2028. Dazu hat sich Sachsen-Anhalt neben inhaltlichen Beiträgen auch der erfolgreichen Subsidiaritätsrüge gegen den Verordnungsentwurf angeschlossen, mit dem im künftigen MFR die Nationalen und Regionalen Partnerschaftspläne eingerichtet werden sollen.

Anrede

Europapolitik ist Realpolitik und die Auswirkungen sind für die Menschen in unserem Land meistens unmittelbar erlebbar. Wir können uns ein Nachlassen oder gar ein Aussetzen unserer aktiven Mitwirkung gar nicht leisten. Ein Zurück zum Nationalstaat wäre gerade für Deutschland und für Sachsen-Anhalt verhängnisvoll. Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang abermals die Arbeiten am nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) und die damit verbundene Vorbereitung der nächsten EU-Förderperiode, die ab 2028 für die Investitionen in Sachsen-Anhalt extrem wichtig ist. Wir haben darüber im Landtag und seinen Ausschüssen wiederholt gesprochen. Inzwischen hat die Europäische Kommission ihre Verordnungsentwürfe vorgelegt – mit einem erheblichen medialen Echo. Die darin vorgesehenen Veränderungen hätten gravierende Auswirkungen auf Struktur und Mittelausstattung unseres operationellen Programms. So würde die beabsichtigte Schaffung von Nationalen und Regionalen Partnerschaftsplänen (NRPPs) eine Zentralisierung in der Kohäsionspolitik bedeuten und klar unseren Interessen widersprechen. Außerdem bringt die vorgesehene finanzielle Priorisierung neuer Politikbereiche wahrscheinlich Mittelkürzungen in den gerade für Sachsen-Anhalt wichtigen Bereichen der bisherigen Struktur- und Agrarförderung mit sich. Wir setzen uns gemeinsam mit den anderen Ländern dafür ein, dass eine etwaige Verringerung von EU-Mitteln nicht ohne Sicherheitsnetze oder Kompensationen erfolgt. Nachdrücklich kämpfen wir für eine Beibehaltung der bewährten Strukturprinzipien in der Kohäsionspolitik – als Regionen wollen wir weiterhin mitentscheiden können, wie und wo Gelder sinnvoll eingesetzt werden. Das darf nicht auf nationalstaatlicher Ebene geschehen, in der die Mittel, die wir heute aus der EU erhalten, unversehens mit nationalen Förderprogrammen oder dem Länderfinanzausgleich verrechnet werden könnten.

Gerade in diesen Tagen werden wichtige Entscheidungen dazu in Brüssel getroffen und wir erwarten die Unterstützung unserer Länderposition durch die Bundesregierung.

Anrede

Eine Mitwirkung in EU-Angelegenheiten bietet keine Garantie auf vollständige Durchsetzung unserer Interessen. EU-Politik lebt bei komplexen Sachverhalten in besonderer Weise vom Kompromiss. Wer glaubt, sich diesen Mühen durch „Abschaffung“ der EU, durch Wegschauen oder ideologische Abwertung entziehen oder vermeintlich einfache Antworten geben zu können, der gibt im Grunde genommen den Kampf um die Zukunft unseres Landes Sachsen-Anhalt in einem gemeinsamen Europa auf.

Europa ist für uns alle wichtig und bleibt es auch. Europa ist unsere Chance auf eine gute und stabile Zukunft. Zugleich lebt Europa von und aus seinen Regionen, wie Sachsen-Anhalt. Hier leben die Menschen, die Europa ausmachen. Es geht auch in Europa um Sachsen-Anhalt und die Menschen in diesem schönen Land.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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